Allein die Tatsache, dass die niederländische Rundfunkstiftung (NOS) das Plädoyer des Staatsanwaltes gegen Mohammed B. live im Fernsehen übertragen hat, zeigt das große öffentliche Interesse der Niederländer am Mörder des Regisseurs Theo van Gogh und bekennenden Islamisten.
Wer aber nun erwartet hatte, während des vier Stunden dauernden Vortrages des Staatsanwaltes würde eine Hasstirade auf den Mann ausgegossen, der hat sich getäuscht. Fast möchte ich das Plädoyer in seiner Form als zurückhaltend bezeichnen.
Theo van Gogh, der bekannte kolumnist, Regisseur und zyniker, war bestimmt kein Heiliger, im Gegenteil. Er erhob die Beleidigung zur Kunstform, und alle gesellschaftlichen Gruppen kriegten von ihm ihr Fett. In seinen lichten Momenten hat er diese Art des Umgangs unter Berufung auf die Meinungsfreiheit gerechtfertigt und jedermann zugestanden, beispielsweise auch den radikalen Moslems. Mit Beleidigungen und verbalen Angriffen hätte er sehr gut umgehen können, zumal er viele muslimische Freunde hatte und sich auch für kriminelle Jugendliche marokkanischer Herkunft einsetzte. Und diesen Mann ermordete Mohammed B. wegen Gotteslästerung. Über die Hintergründe und Motive habe ich bereits einen Beitrag geschrieben. Der Mord rüttelte die niederländische Gesellschaft sehr auf und führte zur Frage, wie tolerant das Land und die Gesellschaft eigentlich wirklich ist.
Das Bild, das der Staatsanwalt heute von Mohammed B. zeichnete, war weder übertrieben, noch war es das Bild eines tragischen Helden. Man weiß, dass Mohammed B. bis zum Jahre 2000 ein ganz normaler Niederländer gewesen war. Niederländisch war seine Sprache, arabisch konnte er gar nicht. Er war integriert, er war sozial eingestellt, er war beliebt. Dann starb seine Mutter, und er saß wegen einer Kleinigkeit für 2 Monate im Gefängnis. Was das für eine Kleinigkeit war, haben wir nicht erfahren, der Staatsanwalt ging darauf nicht ein. Von da an ungefähr beobachteten Freunde, dass er sich zu verändern begann. Spätestens seit Anfang 2004 war er dann dem islamistischen, terroristischen Umfeld zuzurechnen. Er rasierte sich die Haare, ließ sich einen Bart stehen, arbeitete nicht mehr mit Frauen zusammen und versuchte, Leute zum „wahren Glauben“ zu konvertieren. Deutlich hat er mehrfach gesagt, und auch heute als letztes Wort im Prozess, dass er einen solchen Mord jederzeit wieder begehen würde, so würde er den Willen Allahs vollstrecken. „Wenn ich je frei komme, mache ich genau so weiter“, sagte er heute im Gericht.
Was muss das für ein Mensch sein? Schon seit Juli bzw. August 2004 arbeitete er an seinen Abschiedsbriefen. Einen schrieb er an seine Familie, die er aufrief, endlich nach den Geboten des „wahren Glaubens“ zu leben, einen weiteren schrieb er an seine Freunde, in dem er klar sagte, dass er das Ziel habe, sich als Märtyrer umbringen zu lassen, um die Segnungen des Paradieses zu empfangen. Einen dritten schrieb er an Ayaan Hirsi Ali, die er ganz massiv mit dem Tode bedrohte. Sie arbeite als Soldatin des Bösen gegen den wahren Glauben. Er hat immer schon gern und viel geschrieben, und seit 2001 wurden seine Schriften und Gedichte immer radikaler und terroristischer.
Den Mord auf Theo van Gogh hat Mohammed B. monatelang vorbereitet. Er kundschaftete die Fahrradroute aus, er formulierte und feilte an seinen Abschiedsbriefen herum, und er muss irgendwo her Geld bekommen haben. Nachdem er sein Studium abgebrochen und seine ausbildung geschmissen hatte, lebte er zwei Jahre von Sozialhilfe. Als die auslief, im Mai 2004, stellte er keinen neuen Antrag. Trotzdem hat er von irgend etwas gelebt. Der Staatsanwalt maßte sich keine Spekulationen über die Herkunft des Geldes an. Seit August bezahlte er auch seine Miete nicht mehr, als ob er schon wusste, wann er zuschlagen würde.
Mohammed B. hat seine Tat in kühlem Kopf vorbereitet. Wie gesagt kundschaftete er van Goghs Fahrtroute aus und besorgte sich die Dinge, die er brauchte. Zwei Messer, eine Pistole und einige Magazine. Und er übte intensiv das Auswechseln des Magazins.
Am Morgen des 2. November 2004 um kurz nach halb neun traf er auf Theo van Gogh, der mit dem Fahrrad zur Arbeit fuhr. Er versicherte sich der Identität seines Opfers, schoss von vorne auf ihn, und als van Gogh um Gnade bettelnd floh, schoss er von Hinten. Dann schnitt er dem Opfer die Kehle durch, legte den Brief an Ayaan Hirsi Ali auf dessen Bauch und stach die beiden Messer in Brust und Bauch des Opfers. Das hat etwas von einem rituellen Mord, einer Hinrichtung. Der Brief an Ayaan Hirsi Ali wirkte auf sie wie ein Todesurteil, sagte sie später. Mohammed B. lief durch einen städtischen Park, schoss auf Menschen, allerdings nicht hoch, um sie nicht zu töten. Er wollte ganz klar erreichen, das hatte er auch in seinem Abschiedsbrief geschrieben, dass die Polizei ihn tötete. 10 Minuten lang lieferte er sich einen Schusswechsel mit der Polizei, bis man ihn ins Bein traf und festnehmen konnte.
Noch einmal die Frage: wie konnte ein gut integrierter Niederländer marrokanischer Herkunft, dessen Familie in der dritten Generation in Holland lebte, zu einem so radikalen Gotteskrieger werden? Der Staatsanwalt sagte, dass er seine Taten wohl durchdacht hat, dass er in keiner Minute Zweifel hatte, dass er voll zurechnungsfähig sei. Seine Briefe und die Telefongespräche, die er mit seinem Bruder führt, und von denen er weiß, dass sie abgehört werden, hindern ihn auch nicht daran, seinen jüngeren Bruder im „richtigen Glauben“ zu unterweisen. „Ich liebe dich, mein Bruder, aber nicht, weil du mein Verwandter bist, und nicht, weil wir zusammen lachen und etwas unternehmen können, sondern weil Allah es mir befiehlt“, erklärte er.
Die Staatsanwaltschaft sprach heute viereinhalb Stunden über den Fall van Gogh und den Täter Mohammed B. Die Verteidigung durfte kein Plädoyer halten, B. selbst hat es seinem Verteidiger untersagt. Er erkennt das Gericht nicht an. Demokratie, so sagte er einmal sinngemäß, ist schlecht, denn sie bedeutet die Herrschaft von Menschen über Menschen. Nur Gott allein darf herrschen, und wer sich gegen diese Herrschaft auflehnt, wird getötet.
Trotz all dieser, übrigens immer ruhig vorgebrachter, Äußerungen, blieben Gerichtsvorsitzender und Staatsanwalt freundlich gegenüber dem Angeklagten. Er hatte dann auch das letzte Wort. An die Mutter von Theo van Gogh wandte er sich direkt: „Ich weiß nicht, wie es ist, ein Kind zu verlieren, ich bin keine Frau. Aber Sie sind eine ungläubige, also habe ich damit auch keine Probleme, und es tut mir auch nicht leid.“
Eine Geschichte, die Mohammed B. einmal erzählt hat, zeigt die derzeitige Überzeugung des Angeklagten nach Meinung der Staatsanwaltschaft recht genau. Der Prophet Mohammed und Moses gehen an einen Strand, wo ein kleiner Junge spielt. Der Prophet nimmt einen Stein und erschlägt den Jungen. Moses ist entsetzt, doch Mohammed sagt: „Das ist die Strafe für den Vater, er ist ungläubig und hat seinen Sohn ungläubig erzogen.“ Die wahren Streiter Gottes müssten Dinge tun, die manche in ihrem Herzen schwer verstehen würden.
Derselbe junge Mann hat noch vor 5 Jahren geschrieben, dass er nach dem Grundsatz lebe, dass man einem andern Menschen keinen Schaden zufügen solle.
Zwei Wochen wird es noch dauern, dann wird im Fall Mohammed B. das Urteil verkündet. Man kann davon ausgehen, dass nach dem heutigen Plädoyer das Strafmaß sehr hoch sein wird. Der Staatsanwalt beantragte Lebenslang, es kamen neben dem Mord noch versuchter Mord und Behinderung der Arbeit eines Parlamentsmitgliedes hinzu. Und auch illegaler Waffenbesitz wurde B. zur Last gelegt. Ob das Gericht dem Antrag folgen wird, bleibt abzuwarten.
Update vom 26 Juli 2005
Das Gericht hat Mohammed B. erwartungsgemäß zu lebenslanger Haft verurteilt. Es folgte im Schuldspruch der Argumentation der Staatsanwaltschaft. B. hatte vorher gesagt, dass er es „laff“ fände, wenn er weniger als Lebenslang kriegen würde. Juristisch ist damit ein tiefgehender Einschnitt in die niederländische Gesellschaft aufgearbeitet. Doch für das gesellschaftliche Zusammenleben sind die Folgen immer noch nicht abzuschätzen und ist der Schock längst noch nicht ausgestanden.
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