Morgen ist es wieder so weit: Auf der ganzen Welt feiert man Halloween, und spätestens seit Harry Potter ist das Fest auch in Deutschland bekannt. Ausgerechnet der größte Gegner des Zauberlehrlings, nämlich die Kirche, macht sich die Bekanntheit des Festtages jetzt für ihre eigenen Zwecke zunutze.
Ich hörte es heute Morgen im Deutschlandfunk, dass in den USA zu Halloween jetzt „Gottes Gruselkabinette“ eingerichtet werden von fundamentalistischen Christen. In kurzen szenischen Darstellungen wird den Besuchern vor Augen geführt, was sie erwartet, wenn sie Sünden begehen, sei es Homosexualität, Abtreibung, Ungehorsam oder eben das Lesen von Harry-Potter-Büchern. Sie werden krank, sterben eines schrecklichen Todes und kommen schließlich in die Hölle. Am Schluss werden sie dann von Engeln befreit und vor Jesus geführt, der über Gehorsam und Liebe spricht. Der Initiator, ein Priester aus Colorado, erzählte, dass im letzten Jahr 50.000 Leute diese Spektakel besucht hätten, und rund 30 Prozent wären danach neu oder wieder zum strengen Christentum konvertiert. Ich finde das ganz schön erschreckend. Ich hätte nicht gedacht, dass so ein moralischer Zeigefinger eine solche Wirkung haben kann. Mir kommt das plump, wenn auch plastisch vor. Nach was für einem Halt suchen diese Menschen? Gottes Werber mit Pferdefuß haben da wohl die perfekte PR-Strategie gefunden. Sie tragen der Tatsache rechnung, dass Halloween auch in den letzten Jahren immer gruseliger geworden ist. Ich bin mal gespannt, wann wir hier in Deutschland so eine Gruselei haben.
Copyright 2006, Jens Bertrams.
Dieser Fundamentalismus ist für mich sehr beängstigend. Er ist so flach und derb und dennoch so erfolgreich. So erfolgreich, dass er in Hessens Schulen gelehrt werden darf.
Hi Jens!
Ich glaube auf gar keinen Fall, daß wir so was hier in Deutschland kriegen, zumindest ganz sicher nicht in dieser Dimmension. In kleineren Sekten vielleicht. Gestern erzählte mir meine Freundin birgit aus dem Chor, der Pfarrer habe gefragt, was man denn am 01. November für ein Fest begangen habe. Klar wollte der auf Allerheiligen hinaus, aber eines der Kinder sagte: „Heloween“. HIer in Deutschland lacht üer so was noch die ganze Kirche, jedenfalls in Klein-winternheim.
Aber erschreckend finde ich das auch. Da kann man ja nur hoffen, daß die auf diese Weise zustande gekommenen Bekehrungen nicht gehalten haben. Bei so einer mittelalterlichen Bigotterie kriege ich ehrlich gesagt das k…
@Claudia: Das ist es ja, es darf eigentlich nicht gelehrt werden, aber sie tun es trotzdem. Und gerade die Derbheit und Einfachheit des Fundamentalismus ist wohl das Erfolgsrezept.
@Das Nest: Ich glaube schon, dass wir das in Deutschland kriegen könnten. Nicht ganz wie in den USA, aber ich kann mir vorstellen, dass es genügend Leute gibt, die nach Halt suchen, und in schwierigen Zeiten sind es oft bedrohungen und einfache Lösungen.
Hallo, zusammen,
Ja, diese „Höllenhaus“-Holzhammermethode habe ich am Halloweentag auch aus den Medien mitgekriegt. Da ging’s auch um Alkohol am Steuer und (homo)sexualität.
Leider ist mir das ganze Spektakel in den USA weder überraschend noch neu vorgekommen, seitdem der amtierende Staatschef dieser Staatenunion als „wiedergeborener“ Christ meint, seine Ansichten seien das Allheilmittel der Welt, vor allem wenn es im „Kreuzzug“ wider die „bösen Schurkenstaaten“ um nichts geringeres als um die Freiheit der freien Welt geht. Auch ist die allgemeine Sexualmoral dort sowas von doppelzüngig: Gegen Sex in jeder Erscheinungsform predigen aber die weltgrößte Porno-Industrie beherbergen, die Verdorbenheit und Gewaltbereitschaft der Jugendlichen anprangern, aber jedem das Recht auf freien Waffenbesitz einräumen.
Gemäß der Grundprinzipien mehrerer Weltreligionen landen wir doch eh alle in einer der Höllen, ob der jüdischen, christlichen oder muslimischen! Und was das mit Halloween angeht, so ist der Tag ja ein aus purer Hilflosigkeit alten heidnischen Traditionen gegenüber einchristianisierter Tag, Samhain, der keltische Jahreswechsel. Ähnlich ist es ja auch mit Weihnachten, das aus den alten Wintersonnenwendfesten hervorgegangen ist oder die Maifeiern, die zeitgleich mit dem höchsten „Hexensabbat“, der Walpurgisnacht einhergehen.
Manchmal frage ich mich echt, ob wir ohne ein wie auch immer geartetes Gottesbild nicht bessere Christen wären, zumindest im Sinne des nazarenischen Wanderpredigers, der als gelernter Zimmermann in die Welt zog und gegen die Angst und Vergeltung predigenden Priester seiner Zeit sprach, dass sein Gott ein gütiger Vater sei und die Menschheit liebe und er, Jesus, für diese Menschheit den Tod hinnehme, um alle zu erlösen. Eine Religion, die als Erlösungslehre begründet wurde, erlaubt keine Höllenfahrt. Deshalb wurde ja das Fegefeuer als „Seelenwaschvorrichtung“ angedacht. Aber von dem hatten es diese Hell-House-Farisäer ja nicht, nicht wahr? Auch brauchen wir keine Hölle im Jenseits, wenn wir uns mit bigotterie und Doppelmoral bereits die Hölle auf Erden bereiten.
Thorsten Oberbossel