Die erste Wahldebatte

Eine Blitzumfrage ergab, dass der niederländische Ministerpräsident Jan-Peter Balkenende die gestrige erste Wahldebatte für sich entscheiden konnte. Warum nur, bei dem Unsinn, den alle Debattenteilnehmer absonderten. Trotzdem ist es interessant, denn Wahldebatten in den Niederlanden sind mit den Debatten in Deutschland kaum vergleichbar.

Im Dutchblog kam die Wahldebatte von gestern nicht gut weg, und ich kann das verstehen. Kaum ist der vielgehasste und oft nicht begriffene Pim Fortuyn tot, und die Aufregung um ihn und seine Partei hat sich etwas gelegt, da kehren alle zu den tristen Debatten zurück, wie man sie vor Fortuyn kannte. Man beschuldigt sich gegenseitig falscher Statistiken, hält sich an Äußerungen über Details auf, die mal jemand irgendwann vor langer Zeit gemacht hat, beschuldigt sich kleinkrämerisch der Unehrlichkeit und so weiter und so fort. Fortuyn hätte die Runde ganz schön aufgemischt.

Dabei sind die Themen durchaus wichtig, die in der Debatte behandelt wurden: Die Qualität der Pflegeeinrichtungen kam ebenso zur Sprache wie die Altenversorgung, Renten, Integration und Umweltschutz. Um die Debatte nicht in ein großes Geschrei ausufern zu lassen, splittete man sie in mehrere kleine Debatten auf. Höchstens vier der sieben anwesenden „Lijsttrekker“, also Spitzenkandidaten, traten gleichzeitig zu einem Thema gegeneinander an. Und dem ganzen fehlten die Showelemente und genauen Regelungen wie: Jeder hat 90 Sekunden, dann kommt eine Bewertung und so weiter, wie es hier in Deutschland üblich geworden ist. Man antwortete auf die Fragen, manchmal redeten die Kandidaten auch direkt miteinander. Die Art, wie die Debatte lief, die Organisation meine ich jetzt, war sehr interessant und gefiel mir. Inhaltlich aber gab das ganze Spektakel nicht viel her. Abgesehen davon vielleicht, dass die Politiker in den Niederlanden mit Ausnahme von wenigen irgendwie natürlicher wirken als in Deutschland, wo alles staatstragend aussieht und sich auch so anhört.

Alle waren sich einig, dass man im Bereich Integration ausländischer Mitbürger, dem Dauerthema niederländischer Politik, etwas tun musste. Der eine, Geerd Wilders, der Rechtsaußen der niederländischen Parteienlandschaft, oder doch zumindest einer davon, will ein Moratorium für den Bau von Moscheen in den Niederlanden einführen, und die Grenzen für Nichteuropäer schließen. In diesen fünf Jahren, so Wilders, könne man dann die Probleme mit den bereits im Land lebenden Ausländern lösen. Was danach geschehen soll, hielt er offen. Eine andere Forderung von ihm kann ich, Schande über mein Haupt, sogar verstehen: Abschaffung konfessioneller Schulen. Auch ich bin dafür, dass die Menschen von neutralen staatlichen Schulen unterwiesen werden, aber das Schulmodell in den Niederlanden ist ein Überbleibsel der absoluten Versäulung der Gesellschaft.

Die kleine Partei D66, die um ihr Überleben fürchten muss, hatte gerade vom statistischen Zentralbüro bescheinigt bekommen, dass ihre Vorstellungen zum Thema Schule einigermaßen gut bezahlbar sind. Darauf ritt der Spitzenkandidat während der ganzen Veranstaltung herum, und er zeigte sich, mehr als alle anderen, als glühender Befürworter der europäischen Union. Ansonsten bleibt nicht viel von Alexander Pechtold zu vermelden.

Womit hat Jan-Peter Balkenende wohl die Debatte gewonnen? Er präsentierte sich lediglich mit seiner Überzeugung, dass seine Regierung viel erreicht hat, und er beschwor das Ärmel-Hochkrempeln und weitermachen. Mehr tat er nicht, Gehalt war aus seinen Worten fast nicht abzulesen. Er präsentierte sich als eine Art Helmut Kohl, nur jünger, *etwas* weniger staatstragend, aber genauso von sich selbst überzeugt.

Ich fürchte, der Grund für seinen Sieg liegt in der Niederlage seines Gegenübers, Wouter Bos von der Arbeitspartei. Der konnte, wie immer, seine Standpunkte eloquent begründen und verständlich machen. Aber viele Niederländer sind von ihm abgefallen, die ihn noch vor drei Monaten mit einem linken Kabinett ins Amt gehoben hätten. Wouter Bos hat nämlich etwas gesagt, was gerade ältere Menschen massiv aufgeregt hat. Jeder Pensionär mit einer Pension von 15000 Euro soll nämlich für die Erhaltung des Rentenniveaus einen kleinen Beitrag leisten. Die anderen Parteien, insbesondere die VVD, die rechsliberalen, und die CDA von Balkenende, hämmerten und hämmern auf dieser Forderung der Arbeitspartei herum. Bos aber hält daran fest und nennt es ehrliche Politik, den Menschen schon vor den Wahlen die Wahrheit zu sagen. Das Problem ist, dass die anderen Parteien es so hinstellen, als müsse jeder Rentner künftig 18 % mehr Steuern zahlen. Das ist eine absolute Vereinfachung und schlicht falsch, aber es wird immer wieder gesagt. Und das macht Bos unbeliebt.

Bleiben noch die beiden Linken im Parteienhaufen: Femke Halsema von den Grünen und Jan Marijnissen von den Sozialisten. Wie immer war Marijnissen charmant, aber inhaltlich nicht besonders aussagekräftig. Dasselbe gilt für Frau Halsema. Damit gewinnt man keine Wahl.

Drei weitere Debatten wird es geben, zumindest teilweise in ähnlicher Besetzung. Ich bin mal gespannt, ob sie sich noch einschießen. Wichtig ist allerdings, dass die Wahlprognosen einen immer größer werdenden Vorsprung des CDA vor der Arbeitspartei voraussagen. Das finde ich traurig, denn nach den vielen Jahren, in denen von den Niederländern immer mehr Demontage ihres Sozialstaates erwartet wurde, wäre eine mehr auf Solidarität ausgerichtete Politik von Vorteil.

Copyright 2006, Jens Bertrams.


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Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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