Tot gesagte leben länger – Wie die Wirtschaftskrise den Neoliberalen hilft

Man könnte der Meinung sein, dass es das natürliche Recht der CDU und der F. D. P. ist, in Deutschland zu regieren. Vor einem Jahr noch hätte man leise angenommen, dass der Neoliberalismus versagt hat. Jetzt meldet er sich mit Macht zurück.

Niemand sollte sich wundern, wenn in Hessen in den nächsten Jahren mit harter Hand weitere Sozialleistungen gekürzt, der Überwachungs- und Bespitzelungsstaat gestärkt und ausgebaut, und die Bürgerrechte mit Füßen getreten werden. Daran sind die Hessen selbst schuld. Sie Haben eine Koalition gewählt, die sich diese Dinge zum Ziel gesetzt hat, natürlich mit wohl gesetzteren und amerikanisch klingenderen Worten. Bush tritt ab, und Roland Koch wird stärker als je zuvor. Und dabei hatten die Linken bereits eine Mehrheit im Landtag. So blöd kann nur die SPD sein, vielen Dank meine Damen und Herren von der neoliberal gewandelten schröderschen Sozialdemokratie. Wie kann man nur so etwas aus der Hand geben wie eine linke Parlamentsmehrheit? Ihr, ja ihr Sozialdemokraten, wart auch mal Kommunisten, Herbert Wehner war einer der ganz großen in dieser Partei. Und jetzt geht ihr mit den Linken um wie mit der NPD oder der DVU. Das ist im Grunde ja schon Verrat an dem Teil der Bevölkerung, der euch mal gewählt hat. Die Quittung habt ihr verdient!

Vor einem Jahr, wie gesagt, und bis in den Frühsommer hinein, gab es Hoffnung. Die Wirtschaftskrise streckte ihre Krallen nach Deutschland aus, und im Herbst mussten die Neoliberalen im wahrsten Sinne des Wortes eine Bankrotterklärung abgeben. Neoliberale Wirtschaftspolitiker schrien nach dem Staat, der den Banken Geld schenkte, um die durch Misswirtschaft am globalen Markt heruntergekommenen Privatunternehmen vor der Pleite zu bewahren. Natürlich sollte der Staat sich nicht etwa in die Unternehmensführung einmischen, das ginge ja gegen den freien Markt. Er war gut genug zum Bezahlen, sonst nichts. Ich glaube schon, dass viele Menschen da begriffen haben, dass neoliberale Politik Gewinnmaximierung um jeden Preis bedeutet. Sozialabbau, Tarifflexibilität, Deregulierung, und dann, wenn man den Karren in den Dreck gefahren hat, eine großzügige Finanzspritze vom Staat, damit man genau so weitermachen kann, zum Wohle der Shareholder und Börsenspekulanten. Viele Menschen, so hoffe ich, haben da verstanden, dass es nicht um den Aufschwung geht, an dem alle beteiligt werden sollen. Und da kam eine Hoffnungsträgerin der SPD mit Namen Ypsilanti gerade recht. Dumm nur, dass sie aus wahltaktischen Gründen zuerst relativ rechte Wählerstimmen kriegen wollte, indem sie eine Zusammenarbeit mit der Linken ausschloss, und dann, als diese möglich geworden war, doch begann, sich eines Besseren zu besinnen und ihre Chance zu erkennen. Aber die Rechten in der SPD verhinderten die linksorientierte Regierung in Hessen, demontierten systematisch das Image der eigenen Partei und sehen nun, dass die SPD bei 23 Prozent Stimmenanteil gelandet ist, und das bei einer Wahlbeteiligung von 60 Prozent. Nur knapp 14 Prozent der hessischen Wahlberechtigten haben also der SPD ihre Stimme gegeben. Eine satte Mehrheit hat denselben Roland Koch gewählt, den sie vor einem Jahr noch unbedingt abwählen wollte. Er ist nun plötzlich der Mann mit der ruhigen, starken Hand, der ein Abrutschen ins linke Chaos verhindert. Er verkörpert die Stabilität und Sicherheit, die er in seiner 10jährigen Regierungszeit den Hessen genommen hat. Und diese Wahl hat Signalwirkung für die Bundestagswahl. Wir werden nach der nächsten Bundestagswahl wieder die Regierung haben, die unserem Land angewachsen zu sein scheint, CDU und F. D. P. Man wird uns fordern, und für das Fördern sind dann die Kirchen und die Tafeln zuständig. Wir werden im freien Spiel des Marktes tanzen und das Beten wieder lernen.

Geht es Ihnen auch so, dass man manchmal an der Politik verzweifeln möchte und den Wunsch hat, nichts mehr zu hören und zu sehen? Nur manchmal? Für einen winzigen Augenblick?

© 2009, Jens Bertrams.

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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5 Antworten zu Tot gesagte leben länger – Wie die Wirtschaftskrise den Neoliberalen hilft

  1. Claudia sagt:

    Ich musste den ganzen Tag mit den Tränen kämpfen und habe mich heute abend ernsthaft gefragt, ob diese emotionale Reaktion auf eine Landtagswahl angemessen ist.
    Wenn ich deinen Eintrag lese, dann gebe ich mir selbst die Antwort auf meine Frage: Ja, es ist angemessen.

  2. Pingback: Sammelmappe » Vorsicht Politik!

  3. rittiner & gomez sagt:

    manchmal oft, sogar wenn man sehr weit davon entfernt ist.

  4. Lieber Jens,
    ganz so schlimm, wie Du sie hier beschreibst, sind die hessischen Wählerinnen und Wähler dann doch nicht. Ganz so groß ist der Gewinn Roland Kochs auch nicht. Im Gegenteil: Wenn man die Anzahl der Stimmen nimmt, dann hat er gegenüber der Landtagswahl vom Januar 2008 sogar noch einige Stimmen verloren. Und damals hat er das schlechteste Ergebnis der CDU seit Jahrzehnten eingefahren.
    Nein, diesen Roland Koch wollen selbst einige Konservative nicht wirklich haben. Deswegen haben etliche die Drei-Punkte-Partei gewählt, umd damit zwar eine konservative Mehrheit zu stärken, nicht aber Koch persönlich.
    So sehe ich das.
    Dennoch macht es auch mich traurig, dass Andrea Ypsilanti heftigst von eigenen „Parteifreunden“ demontiert und in der – achoso fairen – Presse als „Lügilanti“ beschimpft worden ist, während Kochs Meineide vor dem Landtag keinerlei Konsequenzen haben. Ohnehin scheint die SPD ein Problem mit Frauen in Führungspositionen zu haben.
    Was den Neoliberalismus betrifft, warne ich vor allzu frühzeitiger Entwarnung. Nach meiner Einschätzung kommt die größte Welle der Krise noch auf uns zu. Und dann Gnade Gott allem, was auch nur ansatzweise neoliberal daherplappert!
    Man muss sich nur einmal klar machen, dass an der Wallstreet an einem einzigen Tag so viele Milliarden Dollar verzockt worden sind, wie die Vereinten Nationen (UN) zur Finanzierung ihrer Millenniumsziele bis zum Jahr 2020 gebraucht hätten. Anders ausgedrückt: Bis 2020 müssen Menschen hungern, weil geldgeile Banker die Moneten für ihr Essen einfach so verzockt haben!
    Dieses Wirtschaftssystem wird, kann und darf auf die Dauer nicht so weitermachen wie bisher!
    Für eine sozial gerechte Gesellschaft!
    fjh

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