Blindengeld in Hessen – Soll es abgeschafft werden?

Das Blindengeld in Hessen wird im Gegensatz zu anderen Gesetzen nur um 2 statt der üblichen 5 Jahre verlängert. Die Landesregierung und die CDU haben mir jedoch versichert, dass damit keine baldige Abschaffung beabsichtigt ist. Inwieweit man dem allerdings angesichts der vom Bundestag bereits beschlossenen Schuldenbremse glauben darf, ist umstritten. Zu diesem Thema habe ich vor der Zusage der Landesregierung, am 7. Mai 2009, für ohrfunk.de einen Kommentar verfasst und in der Sendung „17-20, der Soundtrack zum Tag“ veröffentlicht.

Das Blindengeld in Hessen soll im Gegensatz zu vielen anderen Sozial- und Wirtschaftsmaßnahmen nur um 2 Jahre statt der üblichen 5 Jahre verlängert werden, heißt es aus dem hessischen Sozialministerium. Blinde Menschen fühlen sich seit dieser Nachricht stark verunsichert, denn in den letzten Jahren haben wir immer wieder erleben müssen, dass in verschiedenen Ländern das Landesblindengeld gekürzt wurde oder ganz abgeschafft werden sollte. Natürlich, werden viele Menschen sagen: Jeder muss Opfer bringen, und Blinde und Sehbehinderte erhalten ohnehin schon mehr als andere Menschen mit Behinderungen. Und außerdem muss der Staat sparen.

Das Landesblindengeld ist eine vermögensunabhängige Leistung, die zum Nachteilsausgleich gewährt wird. Blinde Menschen können sich davon zum Beispiel Bücher in Punktschrift kaufen, die erheblich teurer sind als die üblichen Bücher in Schwarzdruck, oder sie können Taxifahrten vom Bahnhof einer fremden Stadt zu ihrem Bestimmungsort bezahlen. Haushaltsgeräte zur Farberkennung, zum Markieren der Schaltknöpfe für Herdplatten, eine sprechende Küchenwaage, aber auch das notwendige Papier für die Punktschriftmaschine, das auch nicht im freien Handel erhältlich ist, sind einige weitere Beispiele für die Verwendung des Blindengeldes. Fällt es weg oder wird es massiv gekürzt, dann ist blinden Menschen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben nicht mehr in derselben Weise möglich wie unter normalen Umständen. Da Mobilität und Arbeitsfähigkeit massiv eingeschränkt werden, dürfte die Arbeitslosigkeit steigen und damit Mehrkosten verursachen, die den Gewinn, der mit einer Kürzung erreicht würde, mehr als auffressen. Somit spart der Staat nicht durch eine Kürzung oder Abschaffung des Blindengeldes, er verlagert nur seine Kosten.

Natürlich haben wir eine Wirtschaftskrise, und Jeder muss etwas zur Beseitigung der Krise leisten. Darin stimmen vermutlich alle vernünftigen Menschen überein. Behinderte Menschen würden allerdings doppelt belastet. Von Steuererhöhungen, sinkenden Löhnen, steigenden Preisen und ähnlichen Veränderungen wären sie ebenso betroffen wie alle anderen Bürger, zusätzlich würde man ihnen noch den Nachteilsausgleich kürzen oder streichen. Das Geld, in Hessen wären es bei einer vollständigen Abschaffung rund 60 Millionen Euro im Jahr, könnte man dazu verwenden, die Banken zu retten, aber höchstens für einen Tag. Doch wie gesagt: Jeder, außer den Banken, den Managern und den Fußballstars, um nur einige unserer Ärmsten zu nennen, muss bei der Bewältigung der gegenwärtigen Krise helfen.

Der Vorwurf, dass blinde Menschen mehr Geld erhalten als viele andere Menschen mit Behinderungen, ist berechtigt. Das Blindengeld wurde eingeführt, vor allem wegen der Kriegsblinden. Doch es hat sich in den fast 50 Jahren seines Bestehens vorzüglich bewährt. Die Zahl der blinden Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt hat stark zugenommen, selbes gilt für blinde Akademiker. Die Selbstständigkeit und Unabhängigkeit blinder Menschen ist erheblich gestiegen, sie beginnen, sich als Teil des normalen gesellschaftlichen Lebens zu fühlen. Dies ist ein unübersehbarer Fortschritt, den man nur begrüßen kann. Daher sollte Menschen mit einer anderen Behinderung ein ähnlicher Ausgleich gewährt werden. Natürlich gibt es auch andere Meinungen, und das nicht nur unter nichtbehinderten Menschen. Der politische Chefkorrespondent der „Welt“, Konrad Adam, sprach sich vor einigen Jahren öffentlich für die abschaffung des Blindengeldes aus, weil er nicht länger einsehe, für Leute zu zahlen, die keinen konkreten Anspruch begründen könnten. Und eine berühmte deutsche Blinde, die vil in der Welt herumgekommen ist, sagte einmal, das man in Deutschland von der Regierung betüttelt werde und daher bequem geworden sei. In anderen Ländern, so die Globetrotterin, müssten sich blinde Menschen sehr viel mehr anstrengen, was gut für ihre Persönlichkeitsentwicklung sei. Dem kann ich nur widersprechen. Wenn das Blindengeld wegfällt oder massiv gekürzt wird, dann fallen viele Alltagshilfen weg, die in Deutschland nun einmal teuer sind. Was nützt es also, von den Hauptfürsorgestellen mit einer Arbeitsplatzausstattung beglückt zu werden, wenn man zu hause das neue und interessante Buch nicht lesen, die Farben seiner Kleidung nicht aufeinander abstimmen, oder nicht ohne höchste Konzentration oder sehende Hilfe eine Suppe kochen kann. Selbstständigkeit und Selbstvertrauen lernt man zu allererst im Alltag, und darum sollten die Politiker zum Beispiel in Hessen es sich dreimal überlegen, ob sie die Kürzung oder Abschaffung des einkommens- und vermögensunabhängigen Blindengeldes ernsthaft in Erwägung ziehen wollen.

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Autor: Jens Bertrams

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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