Am 8. Mai 2009 habe ich über die damals noch anstehende Wahl zum Bundespräsidenten einen Kommentar für ohrfunk.de verfasst und in der Sendung „17-20, der Soundtrack zum Tag“ veröffentlicht.
Am 23. Mai, pünktlich zum 60-jährigen Bestehen der Bundesrepublik, wird der neue Bundespräsident gewählt. Die größten Aussichten hat der Amtsinhaber Horst Köler, der von der CDU, der FDP und den freien Wählern aus Bayern unterstützt wird. Weitere Kandidaten werden Gesine Schwan für die SPD und Peter Sodann für die Linkspartei sein. Die SPD hat bereits angekündigt, dass sie es auf keinen Fall dulden wird, dass ihre Kandidatin mit den Stimmen der Linkspartei gewählt wird. Das übliche politische Schachern, das man von der Wahl zu Ministerpräsidenten kennt, zum Beispiel in Hessen, setzt sich bei der Wahl zum höchsten deutschen Staatsamt ungebremst fort. Eigentlich sollte der Bundespräsident oder die Bundespräsidentin ja über den Parteien stehen, aber da die Kandidaten in der Regel aus der Parteihierarchie kommen, sind sie in jeder Weise vorbelastet was politische Ränkespiele betrifft. Außerdem wird die Wahl gedeutet als Auseinanderbrechen der Regierungskoalition in Berlin, denn beide Regierungsparteien stellen eigene Kandidaten auf. Und da soll der Bürger und die Bürgerin noch das Gefühl haben, dass ihr Präsident gewählt wird? Zumal sie ja gar nicht an der Wahl beteiligt werden, die souveränen Bürger unseres Landes. Gewählt wird der Bundespräsident nämlich von der Bundesversammlung. Die setzt sich aus allen Mitgliedern des Bundestages und einer gleich großen Anzahl von Vertretern zusammen, die von den Landesparlamenten nach deren Proporz gewählt werden. Somit müssen die Mehrheitsverhältnisse keineswegs so sein wie im Bundestag, denn die anderen Mitglieder der Bundesversammlung werden nach den Ergebnissen der jeweiligen Landtagswahl bestimmt. Es handelt sich dabei zwar auch um Politiker, aber es sind auch andere berühmte Deutsche aus den Bereichen Film, Schauspiel, Sport, Kunst, Musik und Wirtschaft dabei. Zwar sind die Mitglieder der Bundesversammlung offiziell an Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen verpflichtet, da aber das Gewinnen einer Wahl für die Parteien immer auch eine Prestigefrage ist, wird dafür gesorgt, dass die Abgeordneten nicht aus der Reihe tanzen und mit der Partei stimmen, die sie in die Bundesversammlung gebracht hat. Somit dürfte das Ergebnis bereits jetzt feststehen: Horst Köler dürfte mit einer äußerst knappen Mehrheit wiedergewählt werden, wenn alle Abgeordneten so stimmen, wie es verlangt wird. Was das allerdings noch mit Demokratie zu tun hat, ist eine Frage, auf die eine einfache Antwort schwer fallen dürfte… Oder gar nicht, je nach Standpunkt.
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Autor: Jens Bertrams