Am 25.04.1974 wurde europas älteste Diktatur beinahe gewaltlos hinweggefegt: Portugal kehrte zur Demokratie zurück. Aus diesem Anlass habe ich für ohrfunk.de einen Bericht darüber verfasst und in der Sendung „17-20, Der Soundtrack zum Tag“ veröffentlicht.
Hand aufs Herz: Was wissen Sie über Portugal? Nichts? Nun, mit einigen Fakten kann ich Ihnen da aushelfen. Portugal wurde viele Jahre als das Armenhaus Europas bezeichnet, in Portugal gab es jahrzehnte lang die älteste Diktatur Europas, und Portugal ist erstaunlicherweise Gründungsmitglied der NATO. Das sagt eine Menge über die NATO, denn zu dem Zeitpunkt, als die Verteidigungsgemeinschaft gegründet wurde, war Portugal eine rechte Diktatur. Fast so rechts wie das Spanien Francos. Sein Hass auf die Kommunisten befähigte das Land an der Südwestflanke Europas, von Anfang an ohne Vorbedingungen Mitglied des Bündnisses zu werden. Von Demokratie war man in dem Land, das übrigens auch über ein beachtliches Kolonialreich in Afrika und Asien verfügte, weit entfernt. DerEstado Novo, der Neue Staat, wurde nur von einer kleinen Elite geführt, allen Anderen, den Armen, verweigerte man sogar die Schulbildung. Eine vierjährige Grundschule sah das Salazar-Regime bereits als Zugeständnis an die Unterschicht an. In den Kellern von Polizei, Geheimdienst und Armee verschwanden alle, die unliebsame Gedanken dachten, die Freiheit, Bildung, Partizipation oder bessere Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen verlangten. Dieses Land war 1949 Gründungsmitglied der NATO. Und in den sechziger Jahren, als England und Frankreich im Schnellverfahren all ihre Kolonien abstießen, kämpfte das kleine Land mit den knapp 10 Millionen Einwohnern einen aussichtslosen Kampf um den Erhalt seines Kolonialreiches. Die Verarmung und Verelendung war inzwischen so weit fortgeschritten, dass man nicht mehr genügend Offiziere fand, die man in den Kolonialkrieg schicken konnte, man musste auf Ungebildete zurückgreifen und ihnen ermöglichen, das Kriegshandwerk auch als Offizier zu erlernen. Die Unzufriedenheit dieser meist jungen Offiziere führte zur Bildung der „Bewegung der Streitkräfte“, eines Geheimbundes von Offizieren und Soldaten, die an der Lage etwas ändern wollten. Als im Februar 1974 ein Buch des stellvertretenden Armeechefs General Antonio de Spinola die Situation analysierte und empfahl, den Kolonien mehr Selbstständigkeit zu geben und das Volk an der Macht zu beteiligen, war es eine Ohrfeige für eine Regierung, die seit fast 50 Jahren an der Macht war. Nachdem die Regierung von allen Soldaten Loyalität verlangt hatte, die ihnen von Spinola und seinem Vorgesetzten verweigert wurde, beschloss die „Bewegung der Streitkräfte“ den Putsch. Am 25. April 1974, kurz nach Mitternacht, strahlte ein kirchlicher Radiosender ein verbotenes Lied aus, dessen erste Strophe der Sprecher zuvor verlas: Grandola vila morena von Zeca Afonso. . Es war das Signal zum Losschlagen. Die Streitkräfte putschten größtenteils gegen die Regierung, binnen 16 Stunden wurde die Macht der Diktatur gebrochen. Bis dahin fielen keine Schüsse, die Truppen der Regierung liefen über oder ergaben sich, die Bevölkerung steckte den vorbeimarschierenden Soldaten Nelken in die Gewehrläufe. Daher hat die portugiesische Revolution ihren Namen: Nelkenrevolution. Nur bei der Belagerung des Hauptquartiers der Geheimpolizei wurde aus dem Gebäude geschossen, und 4 zivile Demonstranten starben. Es waren die einzigen Opfer dieser Revolution. Im Eilschritt wurden politische Parteien wieder zugelassen, und ein weites Spektrum an Anschauungen machte sich breit. Von Rechts und von Links gab es in den kommenden 2 Jahren Versuche, die Macht an sich zu bringen, erst 1976 beruhigte sich die Lage, eine moderne, demokratische Verfassung wurde ausgearbeitet, und es kehrte Stabilität ein. Das Armenhaus Westeuropas ist Portugal allerdings trotz der Dinge geblieben, die heute vor 35 Jahren dort geschahen.
Vielleicht fragen Sie sich, was das alles heute mit uns zu tun hat. Historiker sagen, dass an diesem 25. April 1974 das alte Nachkriegseuropa ins Wanken geriet und aufhörte zu existieren. Wenige Monate später musste die Militärdiktatur in Griechenland aufgeben, ein weiteres Jahr darauf endete die Francoherrschaft in Spanien. Es wurden mit diesen rechtsgerichteten Diktaturen antikommunistische Bollwerke beseitigt, eine Grundvoraussetzung für eine friedlichere Annäherung zwischen Ost und West, was heute oft übersehen wird. So zeigten die Ereignisse dieses 25.04.1974, wie man Schwerter zu Pflugscharen schmiedet, oder Gewehrläufe zu kurzzeitigen Blumenvasen macht.
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Autor: Jens Bertrams