Es gibt Augenblicke, da schämt man sich für sein Land. Heute gab es für mich so einen Augenblick. Union und FDP lehnten im
Bundesrat den angestrebten Diskriminierungsschutz aufgrund der sexuellen Orientierung ab. Zu deutsch: Schwule und Lesben
dürfen in Deutschland weiterhin diskriminiert werden.
Lieber Außenminister Westerwelle, lassen Sie mich Ihnen mal eine Frage stellen. Warum sind Sie so schwulenfeindlich? Ich
meine: Sie setzen sich doch aufgrund ihrer liberalen Gesinnung für die Bürgerrechte ein, für Freiheit so weit wie möglich?
Okay, das gilt hauptsächlich für den Markt, schon verstanden, aber ein ganz kleines Bisschen Bemäntelung ihrer
Marktliberalität mit bürgerlicher Liberalität hätte ich irgendwie schon erwartet. Und es hätte Sie doch auch nichts gekostet?
Oder haben Sie sich Wolfgang Schäuble zum Vorbild genommen? Kennen Sie doch? Dieser Typ, der selbst eine Behinderung hat,
aber nichts für Menschen mit Behinderung tat und tut? Also, Herr Westerwelle: Warum haben Sie Ihre FDP-Leute nicht
angewiesen, heute im Bundesrat für die Einführung eines Diskriminierungsschutzes für Homosexuelle zu stimmen? Sie wissen doch
vermutlich selbst, dass es noch überall Diskriminierung gibt, oder? Oder wollten Sie nicht auffallen? Oder gibt es eine
Vereinbarung mit der CDU, dass Sie sich nicht in die Moralvorstellungen der Union einmischen? Ich mein ja nur. Regen Sie sich
doch nicht so auf, man wird ja wohl fragen dürfen, oder?
Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie froh ich war, als Menschen mit Behinderungen ins Grundgesetz aufgenommen wurden
als eine Gruppe, die vor Diskriminierung aufgrund ihrer Behinderung geschützt werden sollte. Man konnte und kann zum Teil
diese Diskriminierung im Alltag durchaus noch erleben. Nur seit dieser Satz im Grundgesetz steht, ist die Politik bemüht, mal
mehr und mal weniger, wenigstens hin und wieder Änderungen durchzuführen. Es gibt ein Behindertengleichstellungsgesetz und
ein allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, und so viel diese Gesetze auch noch zu wünschen übrig lassen, so gut ist es doch,
dass es sie überhaupt gibt. Für mich ist es nur natürlich, dass auch Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung nicht
diskriminiert werden dürfen. Das sehen natürlich die Leute anders, die sich sonst für die Hilfe für jeden Unterdrückten
einsetzen, die Kirchenvertreter zum Beispiel, oder auch liberale Politiker. Es gab nun einen Vorschlag, ins Grundgesetz einen
Diskriminierungsschutz für Homosexuelle aufzunehmen, bzw einen Schutz aufgrund sexueller Orientierung, was noch weitere
Gruppen mit eingeschlossen hätte. Der wurde von Union und Liberalen abgeschmettert. Man wolle den Verfassungstext schlank
halten, hieß die lahme Begründung, und ein entsprechender Schutz vor Diskriminierung sei durch andere Vorschriften bereits
gewährleistet. Wenn dem so ist, dann könnte man ja den Verfassungstext verschlanken und das Diskriminierungsverbot aufgrund
des religiösen Bekenntnisses rausnehmen, das ist auch schon durch andere Vorschriften gewährleistet. Die sind zwar nur
einfach gesetzlicher Natur, aber wen kümmerts?
Wenn ich solche selbstgerechten und menschenverachtenden Politikerzitate lese wie die Ablehnungsbegründungen, kommt mir die
Galle hoch. Wir leben im freiheitlichsten Land der Welt, einem Land, das aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt haben
will. Gut: Heute werden Menschen mit Behinderung oder einer bestimmten sexuellen Ausrichtung nicht mehr umgebracht. Aber man
verweigert ihnen oder einem Teil von ihnen die tatsächliche Gleichstellung und den Schutz, den sie als Minderheit verdienen.
Und das in Deutschland, einem Land, das es besser machen könnte. Ein Land, das Vorbild sein könnte.
Es gibt Momente, in denen möchte ich auswandern. Nur wohin, diese Frage ist nicht so einfach zu klären.
An meine homosexuellen Freunde gerichtet sage ich: „Ich schäme mich für Deutschland“, und ich hoffe, dass dies nicht das
letzte Wort ist.
© 2009 Jens Bertrams
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Und es wird ja auch immer gesagt, die Artikel zum Schutz der Minderheiten in unserer Verfassung hätten ihren Ursprung direkt in unseren Erfahrungen mit dem nationalsozialismus. Nun, dann kam das Behindertengleichstellungsgesetz schon reichlich spät, wenn man aber bedenkt, wie viele Homosexuelle in den KZs umgekommen sind, dann ist das mit der Verschlankung des Textes mehr als nur peinlich. Und schade, daß Herr Westerwelle kein Bewußtsein für diese Dinge zu haben scheint. die Gnade der späten Geburt eben. Und was Herrn Schäuble ((Ich hoffe, ich hab ihn jetzt richtig geschrieben), so ist das wohl eine Frage von Knete und Beziehungen. Wenn man den normalen Alltag eines behinderten nicht leben muß, dann braucht man sich auch nicht drum zu kümmern. Traurig, aber wahr…
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