„Wir wollen lieber Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren“, sprach die Bundesregierung, und sie erfand die Bürgerarbeit: die „konsequenteste Form des Förderns und Forderns“, wie sie selbst sagt, und die höchste Form des Lohndumpings und der Ausbeutung und Diskriminierung Arbeitsloser.Manchmal ist man Sprachlos. Da hat eine Gemeinde in Sachsen-Anhalt die Arbeitslosigkeit von 15 auf rund 6 Prozent reduziert. Schuld ist das Modellprojekt Bürgerarbeit, das nun bundesweit eingeführt wird. Ein echtes Wunder also? Ein Wunder, das uns auch weiterhin sinkende Arbeitslosenzahlen beschert?
Ach wenn es doch so wäre. Aber nein, hinter dem Konzept Bürgerarbeit steckt etwas vollkommen anderes. Eigentlich mag ich keine Klassenkampfparolen, sie sind oft plump und einseitig, unausgewogen und werden der Realität meiner Ansicht nach nur selten gerecht, aber hier sind sie angebracht: Bürgerarbeit ist Ausbeutung.
Dabei klingt es zunächst einmal ganz gut. Erstmals seit der Einführung der sogenannten Hartz-Gesetzgebung ist nicht von „Arbeitslosen“, von „Leistungsempfängern“ und damit unterschwellig von Schmarotzern und faulen Leistungserschleichern die Rede, sondern von mündigen Bürgern, von vollwertigen Mitgliedern der anerkannten Gesellschaft also. Diesen Bürgern, die leider keine Arbeit gefunden haben, soll durch die Bürgerarbeit eine Perspektive geboten werden.
Bürgerarbeit ist dabei zusätzliche, am Gemeinnutz orientierte Arbeit. Als Beispiele werden das Reinigen von Parkanlagen, die Unterstützung von Sportvereinen oder die Aushilfe bei der Seniorenbetreuung angeführt. Bei 30 Wochenstunden wird diese Tätigkeit mit 900 Euro netto vergütet, es handelt sich also um einen Stundenlohn von rund 6,50 Euro. Im Gegensatz zu den sogenannten 1-Euro-Jobs klingt das auf den ersten Blick nicht schlecht, allerdings muss man wissen, dass durch diesen Lohn das Arbeitslosengeld vollständig ersetzt wird. Auch Zusatzleistungen wie eine Fahrtkostenerstattung für den Weg zur Arbeit und zurück können nicht geltend gemacht werden. Die „Leistungsbezieher“ haben oft am Monatsende nicht mehr Geld in der Tasche als ohne die Bürgerarbeit, haben aber 130 Stunden gearbeitet. Wer Bürgerarbeit ablehnt, wird durch Kürzung oder Wegfall der Leistungen bestraft. Insofern stimmt die Formulierung der Bundesregierung, es handle sich um „die konsequenteste Form des Förderns und Forderns“, wobei ich keine Förderung erkennen kann. Die Modellprojekte haben gezeigt, dass nur rund 10 Prozent der Betroffenen nach Abschluss des Projektes in reguläre Arbeitsverhältnisse übernommen werden. Das ist ja auch kein Wunder, handelt es sich doch ausdrücklich um zusätzliche Arbeit, die von der Wirtschaft oder der öffentlichen Hand als vollwertige Arbeit im Rahmen regulärer Arbeitsplätze aus Kostengründen nie bezahlt worden wäre.
Im Januar 2010 führte ich ein interessantes Interview mit Prof. Dr. Wolfgang Franz, dem Vorsitzenden des Wirtschaftssachverständigenrats der Bundesregierung. Er machte damals den Vorschlag, den Hartz-IV-Regelsatz auf 251 Euro pro Monat zu kürzen, auch um einen Anreiz zu schaffen, sogenannte „niedere Arbeiten“ anzunehmen, die für die Arbeitgeber zu teuer geworden seien. Beide Konzepte haben ähnliche Konsequenzen. Es wird harte Arbeit zu äußerst billigen Konditionen geleistet, weil die Betroffenen keine Wahl haben. Damit werden reguläre Jobs verdrängt, die natürlich mit den billigen Arbeitskräften nicht konkurrieren können. In Deutschland sinken die Reallöhne. Damit wird ein Trend fortgesetzt, der schon seit einigen Jahren besteht. Obwohl die Arbeitslosigkeit abnimmt, obwohl mehr Geld im Haushalt ist, als von der Regierung erwartet, sinken die durchschnittlichen Reallöhne in Deutschland. Mit der Bürgerarbeit wird diese Entwicklung noch verschärft. Zwar wird Arbeit finanziert, durchaus auch anspruchsvolle und harte Arbeit, aber sie wird nicht angemessen bezahlt, und Diejenigen, die die Arbeit erbringen, haben kein besseres Auskommen, als wenn sie von den Leistungen der „Grundsicherung für Arbeitsuchende“ leben würden. Letztlich läuft es also auf eine Aushöhlung der sozialen Sicherungssysteme hinaus. Arbeit soll billiger werden.
Als nach dem Krieg das Konzept der sozialen Marktwirtschaft eingeführt wurde, versuchte man ernsthaft, einen Mittelweg zu gehen. Obwohl das kapitalistische Wirtschaftssystem unangetastet blieb, wurde ein gutes soziales Sicherungssystem aufgebaut. Solidarität mit denen, die keine Arbeit bekamen, stand hier im Vordergrund. In einer Gesellschaft, in der heute aber nur noch die sogenannten „Leistungsträger“ zählen, wird dieses System aber zunehmend als Belastung empfunden. Wer Leistungen bezieht, soll dafür arbeiten, obwohl er keinen anständigen Lohn als Gegenleistung erhält. So wird aus der sozialen Marktwirtschaft ein Ausbeutungskapitalismus, der mit einer gesellschaftlichen Treibjagd auf die Bezieher von Arbeitslosengeld einher geht. Die neue Bürgerarbeit ändert daran nichts, im Gegenteil. Sie entpuppt sich als verbrämte Zwangsarbeit, die dem sogenannten „Reichsarbeitsdienst“ der Nationalsozialisten alle Ehre gemacht hätte. Und selbst das Bundesverfassungsgericht kann und will wohl auch nicht zum Bewahrer der Grundwerte des Grundgesetzes werden, in dem eindeutig zu lesen ist: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Rechtsstaat.“
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Durch Bürgerarbeit werden Aufgaben geleistet, die vom Markt aufgrund der Rentabilität nicht zu leisten sind. Somit kann der Staat die Versorgung mit jenen öffentlichen Gütern gewährleisten, ohne weitere staatliche Mittel zu verschwenden. Außerdem schafft ein Dienst an der Gesellschaft dem Menschen das Gefühl, dass sie gebraucht werden. Trotzdem bleibt dem Arbeitlosem noch genügend Zeit, einen richtigen Job zu suchen. Die Bürgerarbeit versucht also den arbeitlosen Menschen als Teil der Gesellschaft zu akzeptieren. Erst Untätigkeit und Perspektivlosigkeit führen zu Resignation. Ich denke, es gibt eh kaum ein befriedigendes System im Umgang mit Arbeitslosen. Zahlt man zu wenig, gilt es als inhuman und nicht solidarisch. Zahlt man zu viel, fehlt der Anreiz, eine sozialversicherungspflichtige Arbeit aufzunehmen. Schickt man die Arbeitslosen zu Weiterbildungen und Bewerbertrainings, hält man diese für ineffizient und pure Geldverschwendung. Lässt man sie einfach in Ruhe, dann stiehlt sich der Staat aus seiner Verantwortung.
PS.: Ein guter Journalist sollte auf Vergleiche mit dem Nationalsozialismus verzichten.
Und Parolen wie „Bürgerarbeit ist Ausbeutung“ sind ebenfalls populistisch.