Den folgenden Kommentar habe ich am 19.04.2011 auf ohrfunk.de veröffentlicht.„Erklär mir dieses Internet“, fragt im besten Fall die staunende Elterngeneration. Seit letztem Wochenende ist das gar nicht mehr so schwer, denn die Politik 1.0 ist im Web 2.0 angekommen; Komplett mit Marktwirtschaft, Lobbyvereinigungen, Alleinvertretungsansprüchen und zerstrittenen progressiven Gruppen. Herzlichen Glückwunsch, wir können uns wieder daheim fühlen, die Welt ist wieder verständlich.
„Wir sind die Digitale Gesellschaft!“ Wollte ich eine Analogie wagen, so würde ich der Elterngeneration den Spruch „Wir sind das Volk“ in Erinnerung rufen. Bloß gingen damals hunderttausende auf die Straße und skandierten den Spruch, der zum Symbol der sogenannten friedlichen DDR-Revolution wurde, während heute höchstens rund 20 Top-Aktivisten einer politischen Internetplattform einen Verein gründen und ihren Spruch als Motto in die Welt posaunen. Das widerum erinnert, ebenfalls eine Analogie, an den sogenannten Alleinvertretungsanspruch der Hallstein-Doktrin der fünfziger und frühen sechziger Jahre, wo auch ein paar, die Regierung der Bundesrepublik Deutschland nämlich, die Vertretung auch für die Deutschen in der DDR für sich in Anspruch nahm. Nun? Versteht ihr, liebe Elterngeneration, jetzt das Internet? – Nein? Dann also noch mal ganz langsam zum Mitschreiben.
Seit 7 Jahren gibt es ein Blog im Internet, sozusagen ein politisches Medium, das sich mit dem beschäftigt, was man heute Netzpolitik nennt. Auf www.netzpolitik.org schreibt Markus Beckedahl zusammen mit einigen inzwischen nahmhaften Autoren über Internetsperren, Vorratsdatenspeicherung, Datenschutz im Netz, Urheberrecht und all die anderen Themen, die die Internetgemeinde beschäftigen. Es geht also um Bürgerrechte im Internet. Weil sich Markus Beckedahl sehr kompetent und engagiert äußerte, wurde er mit der Zeit zu einer Art inoffiziellem Ansprechpartner für die Politik in allen Fragen, die das Internet betreffen. Natürlich nicht allein, es gab auch ein paar Andere, aber er wurde und wird als Experte geschätzt. Allerdings hat er ein Problem, das auch andere Netzaktivisten kennen dürften: Es fehlt an Geld und geschulten Lobbyisten, um die Anliegen des Web 2.0, also einer offenen und vernetzten Bürgergesellschaft, den in ihrer Offlinewelt erstarrten politischen Entscheidungsgremien verständlich und schmackhaft zu machen. Wenn die sich nämlich mit dem Internet beschäftigen, wo Bürgerbeteiligung aufgrund der vielfältigen Möglichkeiten groß geschrieben wird, dann geschieht dies meistens aus Angst.
Da war guter Rat teuer. Wenn man Campagnen gegen Internetzensur und Vorratsdatenspeicherung durchführen will, muss man eine Rechtsform haben, in der man Spenden annehmen kann. Als Privatperson ist das nicht so einfach möglich, und es würde auch den Zielen der Transparenz und Offenheit widersprechen. Um eine Stiftung zu gründen braucht man eine Menge Geld, die aber nicht vorhanden war. Also tat Markus Beckedahl mit einigen Gleichgesinnten zwei Dinge. Zum einen wurde die Werbung auf www.netzpolitik.org zugelassen. Für alle fundamentalistischen Bürgerrechts- und Netzaktivisten war dies ein Sündenfall. Man kam den Großkonzernen entgegen, die man doch in ihre Schranken verweisen wollte. Aber auch Netzaktivismus muss sich finanzieren, und am Ende scheint eben nur die Werbung zu ziehen, was beweist, wie korrumpierbar die ehemaligen Bürgeraktivisten für die Verlockungen ihrer einstigen Gegner geworden sind. Wenn man anfängt, mit der Freiheit des Netzes Geld zu verdienen, begibt man sich in ein hoch explosives Spannungsfeld.
Die zweite Maßnahme Markus Beckedahls war, einen Verein zu gründen, dem rund 20 ausgesuchte Mitglieder angehören. Bekannt sind lediglich die drei Vorstandsmitglieder. Dieser Verein soll Campagnen für Bürgerrechte im Internet durchführen, dazu also der Netzgemeinde eine Plattform zur Verfügung stellen, und er soll Lobbyisten bezahlen, die die Interessen der Netzgemeinde gegenüber der Politik vertreten. Hier werden aber nun gleich reihenweise Grundprinzipien der offenen und demokratisch organisierten Bürgergesellschaft verletzt. Vor allem gibt es die Kritik, dass der Verein „Digitale Gesellschaft e. V.“ nicht demokratisch und nicht transparent ist. Nicht jeder kann mitmachen, sondern nur Markus Beckedahl und seine Freunde. Geld geben darf jeder, mitbestimmen jedoch nicht. Doch der Verein tritt mit dem Slogan: „Wir sind die digitale Gesellschaft“ an. Aus der wird ihm jedoch deutlich widersprochen: „Nein, seid ihr nicht, ihr seid höchstens ein Teil von ihr.“ Das stimmt natürlich.
Trotzdem sind die Gedankengänge der Vereinsgründer durchaus verständlich. Will man eine schlagkräftige, schnell reagierende und kompetente Organisation aufbauen, so ist eine kleine Gruppe von Experten flexibler und schneller, beweglicher. Diskutiert man hingegen über jede Stellungnahme, über jedes Logo, über jeden Text, jeden Campagnenauftritt mit der gesamten Netzgemeinde, die man vertreten will, so dauert es ein Jahr, und bei der Menge an ausgeprägten Individualisten käme am Ende nur Mord und Totschlag dabei heraus. Oder um es mit den Worten Winston Churchills zu sagen: „Das schlagkräftigste Argument gegen die Demokratie ist ein fünfminütiges Gespräch mit dem durchschnittlichen Wähler.“ Man sieht an der in sich zutiefst zerstrittenen Piratenpartei, die mit so viel Schwung aufbrach und jetzt nach und nach die Zustimmung der Internetgeneration einbüßt, dass Jahrelange Programmdiskussionen und öffentliche Zerrissenheit vielleicht sympathisch oder offen wirken, aber sicher kein Vertrauen schaffen oder Schlagkraft und Durchsetzungsfähigkeit demonstrieren. Diese Überlegungen haben Beckedahl und seine Digitalgesellschafter natürlich nicht so geäußert, aber Beweglichkeit und Schlagkraft gehören schon zu ihren Argumenten.
Der protzige Slogan von der Alleinvertretung der digitalen Gesellschaft ist eine politische Instinktlosigkeit erster Ordnung, so gut gemeint die Argumente auch sein mögen. Hinzu kommt, dass der Verein als Ansprechpartner von der Politik geradezu händeringend gesucht wird. Als eine Lobbyvertretung der gesamten Internetgemeinde präsentiert sich der Verein „Digitale Gesellschaft“ als das, was die Politiker aus ihrer herkömmlichen Arbeit kennen. Sie verhandeln mit einem Lobbyverband ohne demokratische Legitimation, der natürlich nur die Interessen der eigenen Gruppe vertreten kann, sich aber als Vertretung aller Betroffenen präsentiert. Damit können die Politiker gut leben, die Netzwelt reduziert sich für sie auf Markus Beckedahl. Das macht Kaputt, was mühsam bei den Politikern angekommen zu sein schien: Dass nämlich die digitale Zivilgesellschaft ebenso vielschichtig ist wie die Offline-Gesellschaft. Die Fiktion, nur einen Ansprechpartner zu haben, führt zur Vereinfachung und Pauschalisierung aller Internetthemen, zum offiziellen Meinungsmonopol dieser 20 prominenten Internetaktivisten um Markus Beckedahl.
Die Interessen des Internets und seiner Bürger kann man nicht mit den herkömmlichen Regeln des bürgerlichen Rechts aus dem neunzehnten Jahrhundert vertreten. Führt man dazu noch die Marktwirtschaft und die politische Interessenvertretung des mittleren 20. Jahrhunderts ein, bedarf es wohl einer neuen Bewegung von unten, um die altgedienten Aktivisten in den wohl verdienten Ruhestand zu versetzen. Bloß wäre es manchmal trotzdem wünschenswert, würde die Netzgemeinde mit einer Stimme sprechen. Derzeit, nach der Gründung des Vereins „digitale Gesellschaft“, tut sie das jedenfalls weniger dennje. So ist aus dem Internet ein ganz normales politisches Schlachtfeld geworden, das auch unsere Elterngeneration verstehen, und von dem sie sich abwenden kann. Insofern hat der neue Verein eines seiner Ziele schon erreicht. Eins ist mir nach dieser Episode klar: Weder vollkommene Demokratie und Partizipation, noch Lobbyismus und straffe Campagnenführung der alten Schule sind für das Internet und das 21. Jahrhundert die tauglichsten Rezepte. Mehr kann ich auch nicht erklären, tut mir leid.
Ja, was soll ich sagen? Ich kann mich jedem Wort anschließen, zumal es ja auch schon Ansprechpartner gibt. Der CCC hat fähige und kompetente Leute und der FoeBud hat sich bei der Auseinandersetzung mit den Gerichten als schlagkräftig erwiesen. Auch wenn Leena, die beim FoeBud mitarbeitet, meint wir können mehr Unterstützungsorganisationen brauchen:
http://www.stud.uni-potsdam.de/~leena/2011/04/alte-mythen-in-der-digitalen-gesellschaft/
Mir ist viel Angeberei bei der digitges dabei.
So ein Anflug von „wir wollen auch in der Liga Lobbyisten mitspielen“.
Für mich geht es eher darum Lobbyisten auszubremsen, nicht ihr widerliches Verhalten nachzuahmen.