Wenn ich mich mal wirklich unterhalten und berieseln lassen will, dann lese ich ein Buch, höre Musik oder spiele ganz selten ein Strategiespiel am Computer. Hin und wieder schaue ich auch mal einen Film. Und ihr so? Ich frage aus guten Gründen.
Es gibt sie tatsächlich, die Leute, die es nicht gewesen sein wollen, die sich aber doch Sonntag für Sonntag solche Shows wie „Schwer verliebt“ anschauen wollen. Reality-TV nennen die Sender diese Shows. Sie suggerieren, dass man zwei Menschen, oder auch mal drei, dabei beobachten kann, wie sie sich einander annähern, wie sie ihren Alltag gemeinsam verleben. Dabei ist das gelogen. Diese Shows laufen nach einem geheimen Drehbuch ab, bei dem die Betroffenen als Laiendarsteller fungieren, ohne dass es tatsächlich um sie geht. Es geht um den Voyeurismus der Zuschauer, die niedersten Instinkte des Menschengeschlechtes, es geht darum, wie schön es ist, dabei zuzusehen, wie Mitmenschen der Lächerlichkeit, der Peinlichkeit und der Erniedrigung preisgegeben werden. Die Rhein-Zeitung hat den jüngsten Fall einer fürs Leben gezeichneten jungen Frau porträtiert. Sie machte für schlappe 700 Euro bei „Schwer verliebt“ mit, einem Format, bei dem korpulente Menschen systematisch erniedrigt, verspottet und verlacht werden, durch das Team, durch die Konkurrenz, durch millionen Zuschauer, die endlich jemanden finden, der noch dümmer ist als sie selbst, über den sie lachen, den sie verspotten können. Public Viewing in der Kneipe neben dem Wohnhaus einer Frau, die aufgrund eines unmenschlichen Knebelvertrages mit einer Fernsehproduktionsfirma nichts anderes tun kann, als mitzuspielen, als die Realität von den Fernsehleuten so verdrehen zu lassen, wie sie das für ihr Mobbing, für ihr Gelächter auf Kosten der Betroffenen brauchen. Und das bringt Einschaltquoten.
Nachdem ich den Bericht der Rhein-Zeitung aufmerksam gelesen habe, bin ich entsetzt, wütend, traurig und verbittert. Ich kenne selbst Menschen, die im Alltagsleben engagierte Aktivisten sind, die sich für die Belange Benachteiligter einsetzen, z. B. behinderte Kinder, und die doch ein solches Format anschauen. Was muss mit uns und der Welt geschehen sein, dass uns jedes Gefühl für Mitmenschlichkeit, Würde, Respekt und Achtung abhanden gekommen ist? Wieso darf es solche Sendungen überhaupt geben? Wieso darf es Formate geben, die gegen die Grundrechte verstoßen? Wegen des Marktes und der Millionen? Wegen der Lobby? Wegen der Unterhaltung? Der Ablenkung? der Entspannung?
Schon vor fast 12 Jahren habe ich mich gegen die Sendung „big Brother“ gestellt, aber inzwischen ist alles nur noch schlimmer geworden. Reality-TV muss knacken und krachen, damit es Einschaltquoten bringt, es muss einen Dorftrottel, einen Prügelknaben oder eine Prügelmagd geben. Nur dann werden höchste Quoten und Werbeeinnahmen garantiert.
Um dies zu verhindern gibt es für mich nur eine Lösung: Der Rundfunk, der als auf Gewinn ausgerichtetes Unternehmen organisiert ist, muss verschwinden. Daher plädiere ich für eine Abschaffung des Privatrundfunks. Damit meine ich selbstverständlich nur den kommerziellen Rundfunk, der sich jeglicher gesellschaftlicher Verantwortung entzieht. Nichtkommerzieller, meist lokaler Funk oder Bürgerradios finde ich hingegen großartig. Wir brauchen ein Rundfunksystem, bei dem man sich an die Grundrechte hält, einen Bildungsauftrag wahrnehmen kann, ausgewogen informiert, und bei dem es trotzdem Unterhaltung gibt. Normale, menschliche Unterhaltung. Einen großen Preis zum Beispiel, ein neues Dalli-Dalli, ein Spiel ohne Grenzen. Wenn diese alten Sendungen irgendwo laufen, sind die Einschaltquoten ebenfalls gut. Wir brauchen ein System ohne Konkurrenz und Geldsorgen. Denn es ist die Konkurrenz und die Gier, die Fernsehmacher dazu treibt, Grundrechte und Mitmenschlichkeit einfach über Bord zu werfen.
Der Sender müsste der Frau aus „Schwer verliebt“ jedenfalls eine saftige Entschädigung zahlen, den Nachbarn und Mitbewohnern erklären, wie diese Sendung funktioniert, und dann müssten solche Reality-TV-Formate verboten werden, noch vor dem Ende des privaten Rundfunks. Unterhaltung kann man auch anders haben.
Manchmal glaube ich, wir Menschen sind irgendwie in der Steinzeit stecken geblieben.
Weg mit dem Privatrundfunk!
Hallo Jens!
ich stimme Dir in vollem Umfang in dem zu, was Du über „schwer verliebt“ und ähnliche entartete Formate schreibst.
Allerdings halte ich es für gefährlich, eine Forderung wie „Privatfunk und -fernsehen abschaffen“ zu stellen. Denn von da bis zurück zum komplett verstaatlichten Fernsehen mit Monopolstellung ist es nicht mehr weit. Und das können wir uns als Demokratie, die wir trotz aller Skepsis im Detail ja sind, nicht leisten. Dürfen wir auch nicht.
Mir ist durchaus klar, dass in den Schaltzentralen der Privaten ebenso große Konzerne wie der Axel-Springer-Verlag usw. drin hängen und Beeinflussung vornehmen. Eine rein staatlich geförderte Monopolkette an Sendern wie den Öffentlich-Rechtlichen ohne Alternativen halte ich aber für gefährlich.
Die Privaten haben zum größten Teil die Chance komplett verpasst, eine positive Alternative darzustellen. Leider! Aber abschaffen? nein! 🙂
Hallo Marco, vielleicht habe ich mich unklar ausgedrückt. Zum einen ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk kein staatlicher Rundfunk, das eben nicht, und das ist auch nach Grundgesetz nicht zulässig. Zum Anderen bin ich für nichtkommerziellen Privatfunk, eben um die Vielfalt zu halten. Aber auf Gewinn ausgerichtete Unternehmen haben gewissermaßen gar keine andere Chance, wenn sie Profitmaximierung betreiben wollen, als über die Grenzen des geschmacklich zulässigen zu gehen. Das ist keine Alternative, das ist Verdummung und menschenverachtend. Und das wissen die Leute, und sie machen es seit fast 30 Jahren. Das muss ein Ende haben, dieses Experiment ist gescheitert. Für freien Rundfunk, gegen kommerziellen Rundfunk! Für öffentlich, aber nicht staatlich, geförderten und betriebenen Rundfunk. Konrad Adenauer hat Ärger bekommen, als er ein Staatsfernsehen wollte. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss so beschaffen sein, dass die Politik selbst keinen Einfluss auf die Redaktion hat.
Aber wie soll so ein nicht kommerzieller privater Rundfunk oder Fernsehen aussehen? Von irgendwoher müssen die Gelder ja kommen, die Leute bezahlt werden, die da arbeiten. Das kriegst du nur über Werbung hin, oder indem jeder Sender zum Pay-TV und Pay-Radio-Sender wird, man also das bezahlt, was man als Kunde guckt. Und auch das wäre kommerziell. Und alles, was mit öffentlichen Geldern gefördert wird, wie auch mit privaten außerhalb von Bezahlmodellen, steht in der Gefahr, dass irgend eine Art politischer Einflussnahme stattfinden kann. Sehr riskant, IMO.
Es gäbe da mehrere Modelle. Hier in Hessen und anderen Ländern gibt es die NKL, die nichtkommerziellen lokalen Radios. Die werden von den Landesmedienanstalten finanziert, aber die Finanzen sind nicht an inhaltliche Bedingungen geknüpft, das würde das Grundgesetz nicht zulassen, man würde vor dem Bundesverfassungsgericht gewinnen. Die Landesmedienanstalten müssen den Sendern, die die Voraussetzungen in technischer und personeller Hinsicht genügen, die Lizenz erteilen. Man kann auch die öffentlich-rechtlichen Sender entsprechend betreiben, indem man den von den gesellschaftlichen Gruppen gewählten Rundfunkrat abschafft und ihn wie bei Versicherungen und Sozialverbänden wählen lässt. Dann können die Leute wählen, ob politische Entscheidungsträger da sitzen oder nicht. Finanziell gibt es tatsächlich kein Problem, weil die Gewährung der Gelder verfassungsmäßig ohne personelle und sachliche Überprüfung erfolgt. Nur wenn Deutschland zu einer Diktatur würde, könnte sich die Regierung einfach übe die Geseötze hinwegsetzen, nach der Ausschaltung des Verfassungsgerichts. Wählt man wie in den Sozialwahlen die Gremien der öffentlich-rechtlichen Anstalten, sind sie ziemlich gut gegen politische Einflussnahme gestählt. Und glaube nicht, bei Privaten fände keine Einflussnahme statt. Viel mehr sogar, denn sie beeinflussen einseitig und werden durch die Konzerne beeinflusst, die sie machen. Das ist jeden Tag wieder offensichtlich. Man könnte auch gleich ein steuerfinanziertes Rundfunksystem machen, bei dem auch von den Bürgern die Führungsriege gewählt wird, erst lokal, dann regional. Möglichkeiten gibt es genug. Natürlich werden öffentliche Gelder gebraucht, aber die bergen viel weniger die Gefahr der Beeinflussung als die der großen Wirtschaftsunternehmen.
Lieber Jens,
süße Utopie!
Nur leider ist diese lethargische Gesellschaft – momentan – derart verkorkst, dass Proteste keinen Zweck hätten. Der Rundfunk ist – momentan – zu mächtig und das dummgehaltene Volk zu unwillig, darauf zu verzichten. Momentan.
Du hast ja recht mit deinem Tun – du machst einen tropfen auf dem heißen Stein: Du machst aufmerksam auf diese Missstände!
Aber lieber ein Tropfen, der kurzzeitig sein Zeichen setzt, ehe er verdampft, als eine völlige Dürre.
Sehr netter, wenn auch leider etwas naiver Eintrag.
Ich bin trotz allem deiner Meinung
Tonda