„Extra omnes! „Alle raus!“ So scheucht der päpstliche Zeremonienmeister alle Bischöfe und Priester aus der sixtinischen Kapelle, die nicht an der Papstwahl teilnehmen, oder die nicht zu den ganz wenigen zur Verschwiegenheit verpflichteten Helfern gehören. Damit beginnt heute das historische Konklave, auf dem neuen Papst ruhen die Hoffnungen und Erwartungen nicht nur der Katholiken.
Der neue Papst muss ein Zuhörer, ein Diplomat, ein Seelsorger, ein Brückenbauer und ein Modernisierer sein. Wie soll er das machen?
Während viele Menschen die uralte Zeremonie der Papstwahl gar nicht mehr interessiert, oder nur insofern, als dass sie sich darüber lustig machen können, ist es in Wahrheit extrem wichtig, wer neuer Inhaber des Stuhles Petri wird, und das nicht nur für gläubige Christen oder gar Katholiken. Wie wichtig die Kirche im sozialen Gefüge vieler Nationen ist, wird oft von ihren Gegnern übersehen. Ich selbst bin kein Christ, aber ich bewundere und respektiere den Einsatz christlicher Priester und Laien, die sich um das Wohl in ihrer Gemeinde verdient machen, still, unauffällig, Tag für Tag. Sie tun dies aus einer Überzeugung heraus, die vielleicht nicht unerschütterlich ist, die sie aber tief bewegt und motiviert. Für sie, für ihre Arbeit, für das Wohl ihrer Gemeinden ist wichtig, welchen Kurs ihre Kirche fortan fährt. Und für die Mitglieder anderer Religionen ist wichtig, ob sie mit dem Christentum auf Augenhöhe sprechen, ob es Konfrontationen gibt, oder ob ein Weg zu gegenseitigem Verstehen und zu Toleranz gefunden wird. Und für jeden von uns kann es einmal wichtig werden, wer in christlichen Krankenhäusern behandelt, wer in christlichen Kindergärten aufgenommen und wer in christlichen Schulen unterrichtet wird. Denn in einer Zeit, in der sich der Staat selbst im reichen Europa mehr und mehr aus der Verantwortung stiehlt, wird das Wirken der Kirche immer wichtiger.
Gleichzeitig laufen ihr welttweit die Gläubigen davon. Wen wundert es angesichts der Missbrauchsskandale, der veralteten Moralvorstellungen, der Verstrickung der Vatikanbank mit der Mafia und des offenen Machtkampfes zwischen den machtbesessenen Fraktionen in der Curie? Ohne Schäflein aber kann auch die katholische Kirche ihre wohltätigen Dienste und ihre Gemeindearbeit nicht mehr in vollem Umfang fortführen. Und nicht zuletzt geht ihr nach und nach die Kontrolle über die Gläubigen verloren. Schon seit längerem fordern junge Katholiken eine Neuausrichtung ihrer Kirche, aber mächtige konservative Organisationen wie das „Opus Dei“ verhindern dies.
Natürlich steckt die Kirchenführung gerade nach dem Rücktritt von Papst Benedikt XVI. in einer echten Klemme. So konservativ dieser Papst in vielen Punkten auch war, so sehr zeugt sein Rücktritt selbst von modernem Denken. Wenn ein Würdenträger nicht mehr die Kraft hat, seine Aufgabe zum Wohle des Amtes auszufüllen, tritt er zurück. Eine vernünftige und moderne Einstellung. Sie widerspricht aber ganz und gar dem Gedanken an den lebenslangen Stellvertreter Gottes und an die Unfehlbarkeit des Inhabers des Petri-Amtes. Kann ein Papst sich entscheiden, nicht mehr unfehlbar in Glaubensfragen zu sein, kann er sich entscheiden, den Fischerauftrag Christi zurückzugeben, die Kirche auf einem anderen Felsen zu erbauen? Ist das noch das Selbstverständnis des Papstamtes, wie es sich über die letzten tausend Jahre entwickelt hat? Das Problem ist, dass die Gläubigen zwar einerseits Veränderungen und Reformen fordern, dass sie aber andererseits genau solche ewigen Wahrheiten und Grundsätze brauchen, um einen sicheren Hafen im Leben zu haben. Jede Erneuerung der Kirche, jeder Versuch, sie dem 21. Jahrhundert und dem schnelllebigen und entmystifizierenden Medienzeitalter anzupassen, nimmt ihr genau das, was die Gläubigen als Gläubige in ihr suchen: Ewigen Bestand, ewige Wahrheiten, also Sicherheit in eben dieser rasant sich verändernden Welt. Die Kirche ist ein Fels in der Brandung dieser Veränderung, ein Fels, der die Wellen bricht und sich der Flut entgegenstemmt. Dass die Papstwahl eine von keinem Medium beobachtete heilige Handlung ist und bleibt ist ein Ausdruck dieses selbstverständnisses. Das Konklave mag für viele Menschen nicht mehr zeitgemäß sein, es symbolisiert aber die Unwandelbarkeit der auf 2000jährige Traditionen aufgebauten Institution Kirche.
Und doch braucht die Kirche auch eine Erneuerung. In Bereichen wie der Behandlung von Frauen und Homosexuellen, dem Kontakt und der Zusammenarbeit mit Andersgläubigen, im Bezug auf die Transparenz kirchlicher Entscheidungen und den Kontakt zwischen Klerus und Kirchenvolk ist eine Neuausrichtung des Vatikans lebens-, ja überlebenswichtig. Gläubige sind keine Schafe, die man zur Schlachtbank führt, sie sind selbstbewusste und mitgestaltende Individuen, modern und aufgeschlossen, nicht mehr bereit, tausend Jahre alte Dogmen widerspruchslos hinzunehmen.
Auf diesem Drahtseil muss der nächste Papst ballancieren, und es ist viel wahrscheinlicher, dass er alles vermasselt oder sich gar nicht erst bewegt, als dass von ihm belebende und erneuernde Impulse im richtigen Maß ausgehen, um die Kirche zu verändern und doch in ihrem Wesensgehalt zu erhalten. Das Schwierigste wird sein, erst einmal einen durchsetzungsfähigen Papst zu finden, der diese Aufgabe überhaupt angehen will, und der bereit ist, die verknöcherten vatikanischen Institutionen aufzurütteln und zu erneuern, die er für diese Aufgabe benötigt.