Seit 2005 vergeben die Stadt Marburg und der Regionalverband der humanistischen Union Marburg jährlich einen undotierten Preis an Menschen, die sich für soziale Bürgerrechte engagieren. Gestern war es mal wieder so weit: Diesmal wurde die Gründerin der Kulturlogen ausgezeichnet.
Sie hat nicht einmal einen Eintrag in Wikipedia, heutzutage ein unbedingtes Muss für bekannte und einflussreiche Persönlichkeiten. Und das ist Hilde Rektorschek aus Marburg in jedem Falle. Vor 4 Jahren gründete sie die marburger Kulturloge e. V. Diese vermittelt finanziell benachteiligten Menschen kostenlosen Zugang zu Kulturveranstaltungen, um eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben wieder zu ermöglichen. Dabei verzichtet die Kulturloge vollständig auf Schnüffeleien und Kontrollen bei den Betroffenen. Die „Kulturgäste“, wie Hilde Rektorschek und ihre ehrenamtlichen MitarbeiterInnen die Nutznießer ihrer Arbeit nennen, werden auf Vorschlag von sozialen Einrichtungen und Gruppen oder Ämtern für die Mitgliedschaft in der Kulturloge vorgeschlagen. Sie teilen ihre Präferenzen mit, und wenn Karten für entsprechende Veranstaltungen vorhanden sind, erhalten einige Menschen die Möglichkeit, daran teilzunehmen. Viele Veranstalter stellen inzwischen ein gewisses Kontingent an Karten für die Kulturloge zur Verfügung. Menschen, die dort gewesen sind, berichten begeistert von ihrem Theater- oder Konzertbesuch, unterhalten sich mit anderen Menschen, sind wieder ein wenig mehr in der Mitte der Gesellschaft. An der Kasse bei den Veranstaltungen werden sie wie alle anderen Gäste auch behandelt, sie müssen keinen Ausweis oder Hartz-IV-Bescheid vorlegen, sondern können sich die auf ihren Namen reservierten Karten ganz einfach abholen. Hilde Rektorschek, 1947 in Marburg geboren und schon lange ehrenamtlich in verschiedenen Bereichen tätig, nennt diese Vorgehensweise „behutsam, würdevoll und nachhaltig“. Allein in Marburg profitieren derzeit 1300 Menschen von der Kulturloge. In 23 Städten der Bundesrepublik gibt es inzwischen Kulturlogen, und monatlich werden es mehr. Einige große Städte nennen ihre Einrichtungen ebenfalls so, setzen aber im Umgang mit den Gästen auf Misstrauen und Kontrolle. Hilde Rektorschek und der Bundesverband der Kulturlogen müssen dagegen vorgehen, denn der Begriff „Kulturloge“ ist markenrechtlich geschützt, er soll ja Vertrauen bei den Gästen hervorrufen, und wenn man den Namen wie beispielsweise in Hamburg und Berlin missbräuchlich verwendet, zerstört man den guten Ruf, den die Kulturlogen besitzen.
All das habe ich während der Verleihung des marburger Leuchtfeuers für soziale Bürgerrechte erfahren. Hilde Rektorschek ist eine natürliche, engagierte, herzliche Frau, deren Kraft und Kreativität noch lange nicht erschöpft zu sein scheinen. Ohne persönliche Eitelkeit im Auftreten setzt sie sich für die gleichberechtigte Teilhabe benachteiligter Menschen am kulturellen Gesellschaftsleben ein. Ihr besonderes Augenmerk gilt dabei den Familien mit Kindern. Die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kulturlogen betätigen sich auch als Babysitter und Aufpasser für Kinder, wenn die Eltern mit Karten der Kulturloge eine Veranstaltung besuchen. Auch werden Fahrdienste für Menschen organisiert, die sonst an Veranstaltungen nicht teilnehmen können. Auch weil die Kulturloge auf die Bedürfnisse der Gäste eingeht, weil immer nach individuellen Lösungen und Möglichkeiten gesucht wird, genießt sie einen so ausgezeichneten Ruf.
Mit Hilde Rektorschek haben die Stadt Marburg und die Humanistische Union Marburg eine würdige Preisträgerin für das Marburger Leuchtfeuer 2013 gefunden. Sie reiht sich ein in eine illustre Runde von Preisträgerinnen und Preisträgern, von denen mich ganz persönlich die Journalistin Ulrike Holler und der Nestor der westdeutschen Friedensbewegung, Horst-Eberhard Richter am meisten beeindruckt haben. Die Verleihung des ideellen Preises zieht nach und nach ihre immer größer werdenden Kreise. Gestern war erstmals ein Berichterstatter des hessischen Fernsehens vor Ort. Es ist gut, dass das Leuchtfeuer die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die sozialen Teilhabe- und Menschenrechte lenkt, die sonst in den meist allein wirtschaftlich geführten Debatten untergehen. Das war auch ein Punkt, den Franz-Josef Hanke, Vorsitzender des Regionalverbandes der humanistischen Union Mittelhessen, Journalist, Bürgerrechtler, Blogger und Hauptinitiator des marburger Leuchtfeuers, in seiner kurzen Ansprache verdeutlichte: So sehr man sich über die Einrichtung der Kulturlogen freuen kann, so positiv man sie bewerten soll und muss, so sehr ist ihre Notwendigkeit auch das Ergebnis von Jahrzehnten verfehlter Sozial- und Menschenrechtspolitik.
Wie immer handelte es sich um eine würdige und schöne Feierstunde. Musikalisch begleitet und untermalt von dem extra aus diesem Anlass entstandenen Duo „Tronje und Schupper“, das sich zu einer echten Band weiterentwickeln möchte, und gekrönt von einer kraftvollen und stimmgewaltigen Laudatio des ehemaligen marburger Theaterintendanten Ekkehard Dennewitz, verlieh sie der Preisübergabe einen angemessenen Rahmen. Wir brauchen solche Veranstaltungen und die Würdigung von Menschen, die sich mit ihrer ganzen Kraft für die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen an unserer doch so reichen Gesellschaft einsetzen, die verhindern wollen, dass Menschen einfach wegen eines leeren Geldbeutels abgehängt werden. Natürlich ist dieses Engagement immer partiell und immer nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber viele Tropfen ergeben einen Strom, der Kühlung und Linderung bringt.
Das HR-Fernsehen hat nicht nur am Freitag einen Beitrag für die „Hessenschau“ über Hilde Rektorschek ausgestrahlt; bereits 2006 hat der Hessische Rundfunk über die Preisverleihung an Prof. Dr. Friedhelm SJ berichtet. Er gehört für mich auch zu den absolut strahlenden Leuchtfeuern an Engagement, Empathie und Bescheidenheit.
Fotos von der Preisverleihung an Hilde Rektorschek hat die Humanistische Union Marburg online gestellt unter fotos.marburger-leuchtfeuer.de. Videoaufnahmen sollen dort ebenfalls verlinkt werden.
Herzlichen Dank, lieber Jens, für Deinen schönen Bericht!
fjh