Am vergangenen Sonntag haben – wieder einmal – 24 % der Wählerinnen und Wähler in einem ostdeutschen Land die AfD gewählt. Was die Wahl in Thüringen so besonders macht ist die Tatsache, dass Björn Höcke, der offen rechtsnationale Führer des sogenannten Flügels, dort der Spitzenkandidat ist. Wenn er wollte, könnte er mit der CDU und der FDP eine Regierung bilden und Ministerpräsident werden. Es geht um einen Man, den man gerichtsamtlich als Faschisten bezeichnen darf, ohne ihn damit beleidigen zu können.
Inzwischen gehört es zum guten Ton, nach einer solchen Wahl abzuwiegeln: Immerhin haben 76 % der Menschen demokratisch gewählt, und das sei doch positiv zu bewerten, sagen sie. Ich finde, es kommt auf den Maßstab an: In einem Land, in dem aufgrund der eigenen barbarischen Geschichte eine allgemeine Haltung des „nie wieder Faschismus“ vorherrschen sollte, sind 24 % offener Rassismus nichts, was man mit einer solchen Aussage noch wegargumentieren kann. Ein Viertel der Wählerinnen und Wähler in Thüringen hat die AfD gewählt, und zwar nicht trotz, sondern wegen Björn Höcke und seiner deutlichen, wenn auch intellektuell verklausulierten, faschistischen Aussagen. Sie können nicht sagen, sie hätten es nicht gewusst, die Massenmedien waren in den letzten Monaten und Jahren voll davon. Gerade weil Höcke so radikal ist, übt er eine Anziehungskraft auf Menschen aus, die in ihrem Inneren Rassisten und Faschisten sind. Er traut sich was, er ist ein Kristallisationspunkt, eine
Identifikationsfigur. 24 % offener Rassisten ist das, was uns beunruhigen sollte, statt uns die Dreiviertelgesellschaft schön zu reden. Von einem viertel der Wähler kann, wenn sie zum Systemwechsel entschlossen sind, eine große Gefahr ausgehen.
Die zweite Beruhigungspille der Abwiegler verweist auf die Demütigungen und Kränkungen der ostdeutschen Bevölkerung nach der Wende. Natürlich seien nicht alle AfD-Wähler Nazis, sondern sehr viele seien
Protestwähler. Doch dieses Argument ist lächerlich: Thüringen hat eine hervorragende Infrastruktur und eine niedrige Arbeitslosigkeit, außerdem auch relativ wenige Migrantinnen und Migranten. Selbstverständlich hat es nach der Wende viele Kränkungen und Demütigungen gegeben, und die sollen und müssen aufgearbeitet werden. Doch glaube ich, dass die Protestwähler*innen eher die Partei wählen, die an diesen Demütigungen nicht beteiligt war, die Linke nämlich. Warum sollte man als enttäuschter Demokrat, ohne selbst Nazi zu sein, massenhaft eine Partei wählen, die die Demokratie abschaffen und durch ein straff
hierarchisches Führerprinzip ersetzen will? Ich halte die Wählerinnen und Wähler in Thüringen nicht für dumm und uninformiert, sondern für Menschen, die ihr demokratisches Wahlrecht bewusst genutzt haben, was man auch an der massiven Zunahme der Wahlbeteiligung deutlich sehen kann. Wer einen offen faschistischen Politiker und eine offen faschistische Partei wählt, der ist ein Faschist oder eine Faschistin. So einfach ist es, und damit müssen wir uns auseinandersetzen, statt immer wieder Ausflüchte zu suchen und die Situation zu beschönigen. Es sind übrigens auch nicht vornehmlich die sogenannten Abgehängten, die die AfD wählen, sondern Menschen aus allen Schichten der Bevölkerung. Außer bei den über 60jährigen ist die Partei bei allen Altersgruppen die stärkste Kraft.
Was kann man nun gegen die Wiederbelebung des Faschismus in Deutschland tun? Viele sagen, man müsse mit den Rechten reden, mit ihnen argumentieren, sie überzeugen. Doch dafür mangelt es an zwei Voraussetzungen: Erstens an der Bereitschaft der Rechten, und zweitens an einer gemeinsamen Sprache.
Das am häufigsten gebrauchte argumentative Schlagwort der Rechten ist die Phrase, dass man ja in diesem Land nicht seine Meinung sagen dürfe. Sie schreien oder jammern es in jedes Talkshowmikrofon, sie schreiben es in jedes ihrer Bestsellerbücher, sie rotzen es bei jedem Interview heraus. „In diesem Land darf man ja nicht mehr sagen, dass eine Umvolkung stattfindet, dass der Islam uns alle bedroht, dass die links-rot-grün-versifften Gutmenschen nach der nächsten Revolution auf die Straße gezerrt gehören, dass die Juden an allem Schuld tragen“, sagen sie wieder und wieder, und niemand hält sie auf. Wenn jemand eine andere Meinung hat als sie, dann ist das sofort die Unterdrückung ihrer Ansicht. Es geht ihnen nicht darum, ihre Meinung in einem demokratischen Diskurs zu äußern, sondern sie wollen sie unwidersprochen äußern, sie wollen, dass ihre Meinung die maßgebliche ist. Sie verstehen unter Demokratie und Meinungsstreit, dass sie nicht nur gehört werden, sondern dass sie die unumstrittene Meinungsführerschaft erhalten, dass andere Meinungen nicht zählen. Wie will man mit Leuten debattieren, die einen Allmachtsanspruch haben? Es müsste ja ein Mindestmaß an Respekt für die Meinung des Anderen da sein, um in eine Debatte eintreten zu können. Doch darum geht es den rechten Demagogen gar nicht. Sie beherrschen die politische Auseinandersetzung paradoxerweise mit dem Vorwurf, mundtot gemacht zu werden. Wer mundtot gemacht wird, sitzt eigentlich nicht in einer Talkshow, verkauft keine Bestseller, beschimpft politische Gegner nicht aufs unflätigste und stößt keine Morddrohungen aus, zumindest würde man sie nicht hören. Und rund ein viertel der Menschen ruft begeistert: „jawohl, wir werden unterdrückt!“ Was für eine Stunde der Idiotie! Mit Rechten zu reden hat keinen Sinn. Mit Zweiflern kann man reden, mit Menschen, die Fragen haben, die unsicher sind, aber nicht mit Rechten. Ihnen mangelt es an der Grundvoraussetzung für ein Gespräch: Sie haben keinen Respekt vor Andersdenkenden, keine freundliche Gesprächskultur und keine Bereitschaft für die Offenheit eines solchen Diskurses.
Und dann ist da noch ihre ganz eigene Sprache, die sie wie Gift in die Gesellschaft treufeln: Umvolkung, Lügenpresse, links-rot-grün-versifft, Gutmensch, alles Worte der Hetze und der Diffamierung, des Hasses und der Ausgrenzung. Diese Sprache, diese Begriffe können nicht in einer Diskussion verwendet werden, denn benutzt man sie, wertet man selbst andere Menschen ab. Ein Vergehen, dem sich so mancher Journalist schon schuldig gemacht hat, weil er Begriffe der extremen Rechten
unkommentiert übernommen hat. Die vorsichtige, abwägende, differenzierte Sprache der Demokraten dient der Ermöglichung einer Debatte, ist offen und wandelbar. Die Sprache der Rechten dient allein der Identifikation mit einer Gruppe. Wer möchte schon mit Leuten debattieren, die einen schon vor Beginn des Gesprächs wegen gravierender politischer Meinungsunterschiede als links-rot-grün-versifft bezeichnen und abwerten? Es geht diesen Leuten eben nicht um eine Debatte, sondern um einen Code, den alle benutzen, die gleichen Sinnes sind.
Was also können wir tun? Seit Jahrzehnten sind wir geübt darin, linke und progressive Kräfte auszugrenzen, die sich lautstark gegen den Turbokapitalismus und den Hyperkonsum aussprechen. Unsere Politik sieht in ihnen die größte Gefahr, die unserer offenen, pluralistischen Gesellschaft droht. Die abgedrehten Steinewerfer in einigen Vierteln Berlins werden zu einer Systemgefahr hochstilisiert und mit
Hundertschaften Polizei bekämpft. Den NSU unterstützt der
Verfassungsschutz. Mit Rechtsradikalen kann man nicht reden, ihre Sprache ist die Gewalt, sind die Morddrohungen, die Herabwürdigungen, die Einschüchterungen, und zwar ganz bewusst. Wir müssen sie endlich bekämpfen, und zwar mit all den Mitteln, die unserem Rechtsstaat zu Gebote stehen. Wer Hass und Gewalt säht, der muss mit dem Maß an Ordnungsgewalt bekämpft werden, die das Strafrecht vorsieht. Beleidigungen, Herabwürdigungen, Diffamierungen, Morddrohungen, Vergewaltigungswünsche, Brandstiftung, Körperverletzung und Mord sind nicht durch die Meinungsfreiheit gedeckt und nicht durch das Mitleid mit vermeintlich Abgehängten zu entschuldigen. Und eine politische Gruppierung, die Straftaten dieser Art zumindest versteht, manchmal propagiert, manchmal verherrlicht, die hat schlicht und einfach verboten zu werden. Es geht dabei eben nicht um die Unterdrückung von Meinungen: Wer das offene System offen oder versteckt bekämpft, der verwirkt seine Mitwirkungsrechte, denn ein offenes System muss sich und seine Errungenschaften schützen. Übrigens: Damit ich nicht missverstanden werde, möchte ich gleich hinzufügen, dass es mir nicht um
Massenüberwachung und ähnliche Dinge geht. Solche Maßnahmen sind eines totalitären Staates würdig, nicht aber einer parlamentarischen Demokratie. Es geht um die konsequente Anwendung der bereits bestehenden Gesetze zum Schutze von Menschen und des demokratischen Gemeinwesens. Ich verlange eine null-Toleranz-Politik gegenüber rechten Verbrechern und Hetzern.
Spätestens nach dieser Wahl in Thüringen ist der Kampf gegen rechts zum Kampf ums überleben unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung geworden. Eine CDU, die einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung jede Unterstützung entzieht, wohl wissend, dass damit das Chaos in Thüringen Einzug hält, spielt den rechten Hetzern und Gewalttätern aus selbstsüchtigem Machtinteresse in die Hände und verrät unseren demokratischen Staat. Das ist nicht Strafbar, aber man wird siewohl irgendwann Steigbügelhalter nennen müssen. Wir müssen begreifen, dass mindestens ein fünftel der deutschen Bevölkerung faschistisch denkt und fühlt, um uns der Gefahr, in der wir uns befinden, wirklich bewusst zu werden. Es geht hier nicht um eine wieder abflauende Welle kurzfristigen Protests gegen unhaltbare Zustände. Es geht darum, dass mit der AfD eine Partei erstanden ist, die die Spielregeln des demokratischen Systems nutzt, um an die Macht zu kommen, damit sie dann dieses System abschaffen kann. Damit haben wir in Deutschland Erfahrung, es ist die sogenannte legalistische Politik der Nationalsozialisten. Wir sind dabei, durch unsere Blindheit die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen. Medien verweigern sich aus einem falsch verstandenen Neutralitätsgebot heraus der klaren Positionierung zum Grundgesetz, und wo diese doch erfolgt, wirkt sie platt und hilflos angesichts der rhetorisch brillant vorgetragenen Argumentationslinie der Rechten. Lähmung und Hilflosigkeit machen sich breit. Wir, die sie die Gutmenschen nennen, haben der Wucht hetzerischer Parolen scheinbar nichts entgegenzusetzen. Doch dies ist jetzt ein Kampf, keine Debatte mit Abgehängten, Verzweifelten und Orientierungslosen mehr. Der Deutschlandfunk suggerierte, die AfD hätte ohne Höcke in Thüringen noch besser abschneiden können. Ich glaube, das Gegenteil ist der Fall. Björn Höcke, der Faschist, ist einer der Gründe für das gute Abschneiden dieser Partei. In Deutschland sind faschistische Ansichten in der Mitte der Gesellschaft angekommen, wir haben es nicht vermocht, sie endgültig aus unserem Volk zu verbannen. Vermutlich gelingt das ohnehin nirgendwo, doch das Problem nimmt gefährliche Ausmaße an. Hört endlich auf, mit Rechten zu reden und ihre Bewegründe zu analysieren und verstehen zu wollen. Bekämpft sie endlich mit allen legalen, transparenten und angemessenen Mitteln des Rechtsstaates. Damit wäre uns schon viel geholfen!
@ Jens Bertrams
„Bekämpft die Rechten endlich wirksam!“
Das erstarken der Afd ist ausschließlich das Ergebnis der Bundespolitik seit Herbst
2015. Flüchtlingspolitik und Klimapolitik sind der Treibstoff für diese Partei, weil
hier eben ein 180 Grad Gegenentwurf vorgestellt wird. Und über Werte oder Moral
gilt noch immer das Wort eines Dichters
„Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.“ – Denn wovon lebt der Mensch?
https://de.m.wikiquote.org/wiki/Bertolt_Brecht
Und denjenigen, die meinen „den man gerichtsamtlich als Faschisten bezeichnen darf, ohne ihn damit beleidigen zu können„ sei zur genaueren Betrachtung
https://www.spiegel.de/media/media-44935.pdf
empfohlen.
Mit freundlichen Grüßen
Herbie