Putschposse oder echte Gefahr?

Den folgenden Beitrag habe ich für den Radiosender Ohrfunk geschrieben.

In dieser Woche schrieben die deutschen Leitmedien über einen verwirrten alten Adeligen, der so verbittert darüber war, seine ehemaligen Ländereien nicht zurückzuerhalten, dass er sich zu einem operettenhaften Staatsstreich entschloss. Dabei war auch eine gemäßigt schwurbelhörige Richterin, ein paar abgehalfterte Polizisten und Bundeswehrsoldaten und eine Eso-Ärztin, die an Astrologie glaubt. Zusammengerechnet waren es rund 50 Leute, wenn man großzügig sein will, und sie hatten törichterweise geplant, in den Bundestag einzudringen, Abgeordnete als Geiseln zu nehmen und einen Aufstand der Bevölkerung anzufachen. Lächerlich, operettenhaft, weltfremd, beschieden die Leitmedien, teilweise auch verwirrt. Das sei der einzige Grund, warum man diesen Leuten eine gewisse unberechenbare Gefährlichkeit zugestehen müsse. Doch Bundestagspolizei und Bundeskriminalamt versichern: Eine wirkliche Gefahr bestand nie und besteht auch heute nicht mehr, nachdem der Staat mit martialischer Gewalt zugeschlagen und 25 Personen festgenommen hat. Was soll also die dauernde Kritik, schreiben die Leitmedien nicht ausdrücklich, doch man kann es zwischen den Zeilen lesen, was soll also die dauernde Kritik, der Staat sei auf dem rechten Auge blind? Selbst solche Tölpel wie diese sogenannte Terrorgruppe des reußischen Prinzen werden mit aller Macht des Gesetzes verfolgt. Die Sicherheitsbehörden tun ihre Pflicht. Mit diesen Worten lehnt man sich zurück und schaut zu. Der CDU ist das Ganze nicht einmal einen Kommentar wert, ist doch alles gut gegangen, es gibt Wichtigeres. Es sind doch bloß 50 Leute! Einzelfälle halt, die man ja auch mal in eine Talkshow einladen könnte, um ihrem Bedürfnis nach Öffentlichkeit entgegen zu kommen. Eine gefestigte Demokratie wie die Unsere hält das sicher aus, meinen Leitmedien und Konservative, teilweise zwischen den Zeilen. Wenn das so ist, dann hätte man ja auch die RAF-Terroristen in die Talkshows einladen können, und die Verkehrsbehinderer der „letzten Generation“ dürften der CDU auch keinen Kommentar wert sein.

Halt! Ich habe nicht gut angefangen. Wenn ich so weiter mache, muss ich stundenlang reden und komme auf keinen grünen Zweig. Außerdem wiederhole ich mich. Das mit der letzten Generation hatten wir doch vor zwei Wochen erst. Also: Mal zusammenreißen und es noch mal anders versuchen.

Ist Ihnen eigentlich aufgefallen, wie früh die Leitmedien über die Razzia bescheid wussten? Die linke Bundestagsabgeordnete Martina Renner schrieb, das Gerücht über diese Razzia machte in Berlin schon eine Woche lang die Runde. Die Sicherheitsbehörden und die Leitmedien versichern, dass es gängige Praxis ist, dass auch Medien, die die Arbeit der Behörden schließlich kontrollieren sollen, vorab informiert werden. Klingt nicht ganz uneinleuchtend, doch eine ganze Woche vorher? Und im Innenministerium ist man irritiert, weil so viele Medien bereits informiert waren. Aber natürlich, versichern da die Medien, ist das keineswegs gefährlich, denn niemand aus der Branche würde doch den Beschuldigten etwas stecken! Ein solcher Vorwurf sei absurd, sagen die Medien. Doch woher wusste ein Beschuldigter, der sich in Kroatien aufhielt, eine Woche vorher bescheid und konnte seine Nachbarin anrufen und ihr ankündigen, die Polizei werde wohl bei ihr auftauchen? Er ging dann nach Italien und wurde dort gefasst, doch warum wusste er bescheid? Gibt es in Deutschland etwa rechte Medien? Das kann doch nicht sein. Oder sollte es gar rechte Sicherheitsbeamte geben? Ein ungeheuerlicher Verdacht!

Stopp! Auch das führt zu nichts. Es endet alles in Zynismus und Wut, und so kommen wir nicht weiter.

Warum eigentlich? Was macht mich so unfassbar wütend und gleichzeitig so hilflos? Der ehemalige FDP-Bundesinnenminister Gerhart Baum sagte bei Anne Will: „Die Gefahr kommt aus der Mitte. Die Weimarer Zeit ging zugrunde, weil das Bürgertum die Demokratie nicht verteidigt hat. Die Akzeptanz für rechte Ideen ist sehr viel größer, immer gewesen, in Deutschland, auch nach dem Krieg, als für linke.“ Das ist natürlich eine Binsenweisheit, aber sie erklärt, warum für konservative Politiker*innen verstopfte und blockierte Straßen schlimmer sind als gewaltsame Umsturzpläne, wenn sie nur in die richtige, in die rechte Richtung führen. Ich glaube, dass es zwei Gründe gibt, warum uns dieser gescheiterte Putschversuch kaum juckt: Erstens ist in Deutschland die Akzeptanz für rechte und völkische Fantasien sehr groß. Wie denn auch nicht? Viele unserer Großeltern haben bei der größten Massenvernichtung mitgewirkt, die dieser Planet je gesehen hat, bei industriellem Völkermord. Millionen Deutsche waren beteiligt. Wie können wir glauben, dass sie nichts davon an ihre Kinder weitergegeben haben? In vielen von uns stecken kleine Nazis, und es bedarf unseres Willens, Verstandes und unserer Menschlichkeit, um sie in uns zu besiegen, und wir müssen uns ihrer immer bewusst sein. Und zweitens: Diese kleinen Nazis in uns haben ihre größte Chance, aktiv zu werden, wenn wir die Welt und unsere direkte Umgebung als krisenhaft wahrnehmen, wenn wir Angst um die Zukunft haben, wenn die Demokratie mit ihren langen Entscheidungswegen, ihrer Korruptionsanfälligkeit, ihrem schwierigen Interessenausgleich und ihrer allgemeinen Schwerfälligkeit als ungeeignet wahrgenommen wird, Wohlstand und sozialen Frieden zu sichern. Dann wollen viele eine durchgreifende, schnell handelnde Regierung, die nicht nur kosmetische Änderungen am krisenhaften System vornimmt, sondern einen Weg aus der allgemein beängstigenden Situation weist. Dann gewinnen bei Menschen, die sich in besseren Zeiten durchaus unter Kontrolle haben, die ererbten Instinkte von Fremdenhass und völkischer Überlegenheit wieder mehr Gewicht. Auch das mögen Binsenweisheiten sein, doch sie machen deutlich, warum viele instinktiv mehr Angst vor der „letzten Generation“ haben, als vor dem Reußenprinzen, der ja auch schnell verharmlost wird. Die „letzte Generation“ verlangt uns beängstigend große Veränderungen ab, und zwar echten Verzicht, echte Veränderung. Eine rechte Regierung verspricht auch echte Veränderung, aber zu unseren Gunsten und auf Kosten jener, die scheinbar weiter von uns entfernt sind.

Der Putschversuch des alten Heinrichs und seiner Gesellen war und ist keineswegs harmlos. Vermutlich hat man ohnehin nur die Spitze des Eisberges erwischt, und wer weiß, wieviel Beweismaterial die Verschwörer vernichten konnten, weil sie zumindest teilweise vorher über den Zugriff informiert waren. Vielleicht gelingt es ihnen sogar, mit Hilfe von Gesinnungsgenossen in Justiz und Polizei milde Strafen zu erhalten und schnell wieder auf freiem Fuß zu sein. Dann wird uns das Ganze als Posse verkauft. Und die, die wirklich militärisch gut ausgebildet sind, die rechten Netzwerke, die von identitären Bewegungen und rechten Verlegern gesteuert werden, arbeiten derweil weiter im wirklich verborgenen auf den Tag X hin, während wir alle beruhigt sind, weil wir glauben wollen, dass die Gefahr von rechts nunmehr gebannt ist.

Das ist es, was mich so wütend macht. Das alles geschieht, genau wie unsere Ignoranz gegenüber dem Klimawandel, in aller Offenheit, vor unser aller Augen. Die Konservativen zucken die Schultern, empören sich aber über eine Klima-RAF, oder über eine griechische, sozialdemokratische EU-Abgeordnete, die sich von Qatar hat kaufen lassen und dabei erwischt wurde. Man möge sie so hart bestrafen, wie das Gesetz es fordert, und ich finde, dass die Konservativen alles Recht haben, sich aufzuregen und zu empören. Über klare Bekenntnisse zu unserer Demokratie und klare Worte über die Gefahr von rechts würde ich mich ebenfalls freuen, weiß aber, dass ich darauf lange warten kann. Also bin ich wütend und hilflos und muss zusehen, wie wir erneut auf eine faschistische Gewaltherrschaft zusteuern. Wie viele werden dann bei den Fackelzügen jubeln? Und welche Krise wird sie nach oben spülen?

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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