Heute abend läuft in der ARD eine Sendung von Caren Miosga unter dem Titel: Welches Deutschland wollen Sie, Frau Weidel? Auf Mastodon rief jemand dazu auf, an die Redaktion zu schreiben und sich darüber zu beschweren, dass diese Dame ihren Hass in den öffentlich-rechtlichen Medien immer noch verbreiten darf. Das habe ich prompt erledigt. Hier ist der Wortlaut meines Briefes.
Sehr geehrte Frau Miosga, sehr geehrte Damen und Herren,
heute Abend senden Sie in der ARD eine Talkshow unter dem Titel: Was für ein Deutschland wollen Sie, Frau Weidel? In dieser Sendung darf die AfD-Politikerin ihre Forderungen und Ansichten ein weiteres Mal verbreiten, obwohl sie im Land hinlänglich bekannt sind. Zur Seite werden ihr zwei weitere konservative Personen gestellt, die jeweils nur begrenzt und in Teilbereichen der AfD kritisch gegenüberstehen. Mich hat diese Zusammenstellung der Teilnehmer*innen, insbesondere nach dem letzten Mittwoch und Freitag, entsetzt.
Am Mittwoch wurde in einem deutschen Parlament auf Bundesebene erstmals seit dem 23.03.1933, der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes, ein Antrag mit den Stimmen einer größtenteils gesichert rechtsextremen Partei beschlossen. Dies ist von Seiten der Union und der FDP mehr als nur ein Tabubruch. Diese Parteien verlassen damit den seit 1949, seit der Gründung der Bundesrepublik, bestehenden Konsens darüber, dass es „nie wieder!“ eine Zusammenarbeit mit Faschisten geben darf. Kaum ist die Kriegsgeneration verschwunden, und wenige leben sogar noch und geben ihr Bundesverdienstkreuz zurück, bemühen sich deutsche bürgerliche Parteien erneut, Steigbügelhalter für Faschisten zu werden, die man nicht einhegen kann, indem man ihre rassistischen und menschenfeindlichen Forderungen übernimmt, um ihnen Wähler*innen abzujagen. Wir alle wissen das, und der Journalismus ist schon seit Jahren daran gescheitert, diese Leute zu entzaubern, wenn er das jemals wollte.
Ein großes Problem beim Erstarken der AfD sind die Medien! Zum einen natürlich die sogenannten sozialen Medien, deren Plattformbetreiber ein vitales Interesse am Erstarken dieser extremen Parteien haben, wie man in den USA derzeit beobachten kann. Doch auch die öffentlich-rechtlichen Medien freuen sich über den hart geführten Streit, schalten dann doch mehr Menschen ihre Sendungen ein, wenn es zu heftigen Auseinandersetzungen kommt. Ich möchte Sie jedoch daran erinnern, dass es den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht gibt, um für Brot und Spiele zu sorgen, und auch nicht für besonders hohe Zuschauerzahlen, sondern um die Bevölkerung zu informieren und Ereignisse und Äußerungen journalistisch einzuordnen. Menschenhasser*innen in Talkshows ungefiltert zu Wort kommen zu lassen, gehört ganz sicher nicht zu Ihren Aufgaben als Journalistinnen und Journalisten in einer Zeit, in der Bildung und Einordnung die einzigen Möglichkeiten sind, durch den Dschungel von Information und Falschinformation zu blicken. Die AfD ist eine Partei, deren Mitglieder und Unterstützer bereits Morde begangen haben und vielfache Morde für den Fall ihrer Machtergreifung androhen. Sie und andere Formate des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verharmlosen diese Taten und Drohungen als Auswüchse, die Skandale und damit Zuschauerzahlen liefern. Dabei wird die Bedrohungslage für Menschen, die nicht der Meinung der AfD sind, immer schlimmer, was auch in den öffentlich-rechtlichen Medien inzwischen zu einer, wenn auch schmerzhaften, Normalität erklärt wird. Ich bin ein großer Freund des unabhängigen, öffentlich-rechtlichen Rundfunks, und ich kann es kaum ertragen, wie Sie auf das Niveau der Privatsender herabsinken.
Ich halte es für einen Verstoß gegen die journalistische Ethik, die zumindest Haltung und Verfassungstreue gebietet, Alice Weidel als gleichberechtigte Meinungsführerin in eine Talkshow einzuladen, spätestens nach den Ereignissen dieser Woche, aber eigentlich schon viel länger. Der Hetze demagogischer Scharfmacher*innen ist mit milder journalistischer Vernunft im Live-Gespräch nicht beizukommen. Sicher: Ihre Meinungen müssen genannt werden, doch niemals ohne Einordnung, und daher auch nie live, weil von niemandem verlangt werden kann, eine Einordnung ohne Recherche aus dem Kopf vorzunehmen.
Und dann habe ich noch einen großen Kritikpunkt, der mir bei allen Formaten politischer Talkrunden auffällt: Die AfD darf ihre Meinung verbreiten, auch kleine Gruppen wie Bauern, sobald sie die Autobahn blockieren. Sie haben eine Lobby. Die Klimaaktivist*innen werden angesichts ihrer Versuche, Aufmerksamkeit zu erreichen, zu halben Verbrechern herabgewürdigt, und die über 200.000 Menschen, die gegen Faschismus protestierten an diesem Wochenende, werden niemals in Talkshows eingeladen. Über die größte demokratische Bewegung der Bundesrepublik in den letzten 75 Jahren gehen die Medien, die doch die öffentliche Meinung abbilden wollen, stillschweigend hinweg, oder ihre Zahl wird relativiert. Mit ihrem aufopferungsvollen Kampf für die Freiheit, die es Ihnen überhaupt erst ermöglicht, Politiker*innen unterschiedlicher Couleur zu einem Talk einzuladen, wird kaum bis gar nicht berichtet. Das empfinde ich als Skandal.
Ich weiß, dass diese Mail nichts ändert, dass Sie sie vielleicht nicht einmal lesen, und auf eine Antwort hoffe ich schon gar nicht, die mehr enthält als ein „Vielen Dank für Ihre Mail, wir haben uns im Vorfeld sorgfältig…“. Trotzdem wollte ich Ihnen meine Meinung als freundlichen, oder zumindest respektvollen Protest mitgeben.
Mein Name ist Jens Bertrams, ich bin 55 Jahre alt und blind. Ich arbeite selbst ehrenamtlich journalistisch bei einem hauptsächlich im Internet verbreiteten Radiosender von Menschen mit einer Sehbehinderung (www.ohrfunk.de). Ich betreibe seit 2005 ein Weblog und engagiere mich politisch in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands.
Mit respektvollem Gruß
Jens Bertrams