In Spanien, sagen sie, hat alles angefangen, bei der sogenannten spanischen Revolution im Mai. Dann schwappte es in die USA, und heute kehrt es nach Europa zurück. Wie erfolgreich die „occupy“-Bewegung ist, weiß noch niemand, aber es gibt Menschen, für die sie Hoffnung ist. Menschen wie du und ich, die ihren Glauben an eine positive Veränderung und die Selbstreinigungskräfte im eigenen Land fast verloren hatten.
Sie sind der Protest des gebildeten Mittelstandes, schreibt eine Pressestimme. Eine andere sagt, dass nun der verbitterte Protest gegen die Finanzwelt auch Deutschland erreicht. Das wurde aber auch Zeit, denke ich. Gegen die Hartz-Gesetzgebung sind die Leute nicht aufgestanden, gegen die Bankenrettung 2008 auch nicht, gegen die Kriege in Afghanistan, Irak und Libyen gab es nur geringen Protest. Jetzt scheint zögerlich etwas in Deutschland zu passieren, nach den spanischen Demonstrationen, den londoner Krawallen und der „Occupy Wall Street“-Bewegung. Warum? Warum passiert gerade jetzt etwas?
Vermutlich weil die Bewegung keine klaren Ziele, keine Führung, keine großartige Struktur hat. Vermutlich weil sie weder von großen politischen Organisationen, noch von ihren Führungspersönlichkeiten und auch nicht von ihren Programmen vereinnahmt wurde. Vermutlich weil jeder in der Bewegung sehen kann, was er oder sie in ihr sehen will, weil jeder gegen seine ganz persönliche Hölle protestieren kann. Und doch gibt es Gemeinsamkeiten: Misstrauen gegenüber etablierten Institutionen, Ablehnung des ausufernden und wahnsinnig wuchernden Finanzgebarens, Kampf gegen Korruption und das allgemeine Gefühl, ein Spielball der Interessen weniger Großverdiener zu sein, Verschiebemasse in den Händen der Geldsäcke. Es ist ein vages und zugleich reales Gefühl, der Boden wird einem unter den Füßen weggezogen, und wenn noch nicht heute, so ist doch die Bedrohung real, spürbar, allgegenwärtig. Das vereint die Menschen.
Vor ein paar Tagen habe ich einen Beitrag geschrieben, in dem ich meiner zunehmenden Frustration über die Weltlage freien Lauf gelassen habe. Es gibt Augenblicke, in denen man in Resignation zu versinken droht. Aber wenn heute dieser Protest ein erstes machtvolles Zeichen setzt dafür, dass die Mehrheit eine Stimme zu bekommen beginnt, und wenn zunächst auch nur in der Ablehnung des Alten vereint, dann lohnt es sich, auch für eine Veränderung der Politik zu streiten. Natürlich gibt es kein Konzept, keine durchgeplante Zukunft, aber das ist auch eine Chance. Es geht darum, die Zukunft in unsere Hände zu nehmen. Und dafür ist es wichtig, jetzt etwas zu tun. Erst müssen die, deren macht wir nicht mehr wollen, spüren, dass ihre Zeit abzulaufen beginnt, gewaltlos und langsam, dann müssen sich aus dem, was geschieht, Konzepte entwickeln. Es werden viele und unterschiedliche Konzepte sein, und viele werden wie die alten Konzepte anmuten, weil es so schwer ist, sich aus erlernten Vorstellungswelten zu lösen. Es ist die Stärke und die Schwäche des weltweiten Protests, dass er so unkonkret, so allumfassend, so schwammig und so eindeutig ist. Er ist destruktiv in dem Sinne, dass es erst einmal eine Ablehnung ist. In dem Moment, in dem er zu einer offiziellen Partei, einer Bewegung mit klaren Zielen wird, grenzt er sich ab und ordnet sich gleichzeitig in das alte System ein. Andererseits wird es einen Punkt geben, irgendwann in der Zukunft, wo das Fehlen klarer Forderungen und Programme zur Versickerung des Protests führen könnte. Doch heute ist nicht der Tag, darüber nachzudenken.
Heute ist der Tag, unser Missfallen und unseren Protest zu zeigen! Heute ist der Tag, „echte Demokratie jetzt“ auch in Deutschland zu fordern! Heute ist der Tag, entweder auf die Straße zu gehen und unsere Meinung zu sagen, oder sich auf andere Weise für eine Veränderung zu engagieren. Wer immer kann, der gehe auf die Straße in vielen Städten Deutschlands und der Welt. Sie sollen diesen Protest nicht abtun können als eine Gruppe harmloser Spinner und Verschwörungstheoretiker.
Wieder muss man in Europa die Banken retten. Dafür werden Milliarden ausgegeben. Wo an allen Ecken und Enden das Geld fehlt, weiß jeder selbst. Was nützen uns die Banken? Sie nützen den cleveren Finanzspekulanten mehr als den Kleinsparern. Die machen sie jedenfalls nicht kaputt. Die Wut auf den Ellenbogenkapitalismus, und das sage ich jetzt nicht etwa als Kommunist, sondern als Sozialmarktwirtschaftler rheinischer Schule, ist berechtigt und mündete in die Demos in den Reichenvierteln New Yorks und vor der Wall Street. Und diese Demos wollte man mit dem Argument, man müsse räumen, um eine Reinigung durchzuführen, unterdrücken. Daraufhin versammelten sich gestern morgen tausende new yorker Bürger, um die Reinigung selbst durchzuführen und keinen Vorwand für eine Räumung zu bieten. Tolle Leistung.
Ich hoffe, dass heute in Deutschland hunderttausende, auf der ganzen Welt viele Millionen Menschen auf die Straße gehen und ihr Recht als Bürger einfordern, sozusagen ihr Land besetzen und ihre Unzufriedenheit mit der Finanzwelt auf friedliche Weise zum Ausdruck bringen. Wenn es wieder nur wenige hundert sein werden, muss man sich ernsthaft fragen, was hier schief läuft.
Ich fordere alle meine Leserinnen und Leser auf, so weit es ihnen möglich ist, diese Bewegung zu unterstützen. Es geht uns alle an!
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