Geschichte wiederholt sich nicht

Den folgenden Beitrag habe ich am 12. April 2010 für ohrfunk.de geschrieben und dort gesendet.Geschichte wiederholt sich nicht. Wie oft haben wir diesen Ausspruch gehört? Schlägt man derzeit die Zeitungen auf oder schaltet die Radiostation seines Vertrauens ein, könnte man zu einer anderen Ansicht gelangen.

Vor 70 Jahren massakrierten stalinistische sowjetische Truppen im Wald von Katyn tausende Angehörige der polnischen Intelligenz und der Führungsschicht. Am vergangenen Wochenende flog ein Großteil der polnischen Führung zu einem Versöhnungsbesuch nach Russland und stürzte ab. Präsident Lech Kaczynski und viele andere hochrangige Politiker und Militärs kamen ums Leben. Noch sei Polen nicht verloren, schreiben viele internationale Zeitungen in Anspielung auf die polnische Hymne und das nationale Trauma des oft geteilten, zerstückelten und unterdrückten Landes. Verschwörungstheoretiker, die die Wiederholung der Geschichte predigen, haben Hochkonjunktur. Lech Kaczynski, der Populist, wird plötzlich zum unumstrittenen Symbol polnischen Überlebenswillens und nationalen Gedenkens. Wer weiß, wie lange es dauern wird, bis ihn ein Papst heilig spricht.

In Ungarn fanden am Sonntag Parlamentswahlen statt. Der Führer der bisherigen rechtskonservativen Opposition, der ehemalige Ministerpräsident Viktor Orban, errang mit seiner Fidesz-Partei einen überwältigenden Wahlsieg. „Morgen werden wir in einem anderen Land aufwachen“, hatte er bei seiner eigenen Stimmabgabe erklärt. Gewiss doch: In einem Land, in dem aufgrund der wirtschaftlichen Probleme die Rechtsparteien eine große Mehrheit errangen, und in einem Land, in dem die faschistische Jobbik-Partei, die ihren Hass auf die Roma im Lande richtet, 16 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnte. Wann lernen es die Menschen eigentlich, dass wirtschaftliche Probleme weder von Propheten des freien Marktes, noch von den Hetzern gegen Minderheiten und für nationale Ehre gelöst werden können? Mitten in Europa fühlt man sich wieder an die dreißiger Jahre erinnert, und das in einem Land, das als erstes mutig die Fesseln des kommunistischen Jochs abstreifte. Geschichte wiederholt sich nicht? Viele Ungarn reiben sich heute ungläubig die Augen und sind anderer Ansicht. Übrigens auch deshalb, weil Orban von einer neuen, unverbrauchten Regierung sprach. Dabei vergisst er, oder verschweigt es zumindest, dass seine Partei mit ihm an der Spitze schon einmal die Regierung stellte und die Probleme ebenso wenig lösen konnte wie die Sozialisten.

Auch in Griechenland wiederholt sich Geschichte, zumindest macht man dieselben Fehler wie in anderen Staaten. Aus Angst vor der Wahrheit, vor Wahlniederlagen und vor einem harten Vorgehen gegen zügellose Spekulanten pumpt man Geld in ein Fass ohne Boden. Reine Zuschüsse helfen nichts, wenn kein Fundament, keine Kreditwürdigkeit, kein solider Haushalt da ist. Die Amerikaner mussten das errkennen, als ihre Konjunkturblase platzte und die ganze Welt mit in die Wirtschaftskrise riss. Andererseits muss man ja auch Arbeitsplätze und damit das Auskommen von vielen millionen Menschen retten. Ich verstehe das Dilemma, aber man doktert nur an den Symptomen herum. Griechenland wird das, wie jeder aus der Geschichte weiß, nur kurzfristig helfen. Aber die Börse verzeichnet Gewinne, nur darauf kommt es an.

Oder wie ist es mit einer Atomwaffenkonferenz, die einen Schritt hin zu einer atomwaffenfreien Welt führen soll? Barack Obama lädt nach Washington ein, und die Hauptakteure kommen nicht. So eine Konferenz ist sinnlos. Wen ich mit Hauptakteuren meine? Na: Israel zum Beispiel. Das Land hat Atomwaffen, weigert sich seit 40 Jahren, es zuzugeben, und hat konsequenterweise auch nicht den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet. Deshalb fühlt es sich von der Einladung zur Konferenz auch nicht betroffen. Die Rhethorik Obamas erinnert übrigens an George W. Bush: Es gelte, dafür zu sorgen, dass Terrornetzwerke nicht in den Besitz von Atomwaffen gelangen könnten. Geschichte wiederholt sich eben doch.

In einem Punkt allerdings trifft das wohl nicht zu. Als vor 5 Jahren, am 12. April 2005, Joseph Kardinal Ratzinger zu Benedikt XVI. wurde, titelte die Bild-zeitung: „Wir sind Papst.“ Heute, angesichts der Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche, von denen der Papst mindestens gewusst und die er zum Teil möglicherweise auch gedeckt hat, möchte wohl kaum noch ein Deutscher Papst sein, schon gar nicht die Bild-Zeitung. Ach: Und wenn ich’s mir recht überlege, wiederholt sich die Geschichte auch hier. Für populistische Schmierblätter muss es eben immer einen einfach zu identifizierenden Sündenbock oder Helden geben.

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
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2 Antworten zu Geschichte wiederholt sich nicht

  1. Pingback: Tweets die Mein Wa(h)renhaus » Geschichte wiederholt sich nicht erwähnt -- Topsy.com

  2. Das Nest sagt:

    Kennt eigentlich auch jemand Beispiele, wo sich die andere, die positive Seite der Geschichte wiederholt? die muß es doch geben, ich meine, es muß doch in Phasen verlaufen, wenn man von wiederholung sprechen möchte. Ansonsten müßte man doch sagen: eine bestimmte Art der Geschichte stirbt nie aus, hört nie auf. – nur eine Wiederholung wäre es dann nicht. woran liegt es, daß wir immer die negativen Dinge wahrnehmen, untersuchen und dokumentieren? gibt es nur bei ihnen klare Muster? Das meine ich nicht polemisch, sondern nachdenklich ernst, denn auch mir selber fallen grad keine positiven dinge ein, die sich wiederholen… Oder doch? gibt es immer wieder Menschen, die wie in gorleben Protestmarkierungen setzen – und damit scheitern? gibt es immer wieder Versuche, ein land mit Vernunft zu lenken? Gibt es immer wieder auch Initiativen von reichen und wirtschaftstragenden Personen und Körperschaften, Gerechtigkeit herzustellen? Gibt es immer wieder Heldinnen und Helden zur Befreiung von Minderheiten? Gehen immer wieder menschen für positive Dinge auf die Straße? ja, wenn ich es mir richtig überlege. Ja, Geschichte wiederholt sich.

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