Den folgenden Beitrag habe ich am 8. April 2010 für Ohrfunk geschrieben und dort gesendet.Um rund ein drittel verringern die USA und Russland nun die Anzahl ihrer Atomsprengköpfe. Das ist Kernstück des neuen Abrüstungsvertrages zwischen den beiden größten Atommächten. Allenthalben wird nun in den Medien und der Politik behauptet, wir kämen mit diesem Vertrag der Vision einer atomwaffenfreien Welt ein Stück näher. Auf der symbolischen Ebene mag das stimmen, der Abbau von Nuklearwaffen allein hat eine wichtige Signalwirkung. Aber für den Planeten Erde und die auf ihm lebenden Menschen ist es nach wie vor gleichgültig, ob man sie 50 oder 33 mal vernichten kann. Das Bedrohungspotential bleibt. Ähnlich verhält es sich mit der neuen Atomstrategie der USA: Auf der symbolischen Ebene ist sie ein Meilenstein, weil der Einsatz von Atomwaffen massiv eingeschränkt wird, und zwar bei allen möglichen Szenarien. Nur leider nicht beim Aktuellen: Gegen Staaten wie den Iran oder Nordkorea, also bei den derzeitigen Problemen, bleibt die Atombombe weiterhin eine Option. Es ist leicht, Strategien für Szenarien zu ändern, die derzeit nicht auf der Tagesordnung stehen, und es ist ebenso leicht, die Strategien dieser Szenarien dann erneut zu ändern, wenn sie wieder aktuell werden. Mehr als ein Symbol ist die Strategieveränderung also ebenfalls nicht. Ich glaube hingegen, dass die neue Strategie eine Prestigeentscheidung für Obama war, der neue Abrüstungsvertrag aber aus Kostengründen zustande kam. Es werden die überflüssigen Atomraketen abgebaut, das Abschreckungspotential wird in keiner Weise verändert. Und es gibt durchaus Stimmen, die das auch begrüßen. „Die Welt“ schrieb in diesen Tagen ein „Lob auf die Atombombe“. Während des kalten Krieges habe sie den Ausbruch eines heißen Krieges verhindert und durch ihre Abschreckungswirkung millionen Leben gerettet. Und würden die USA nun ihre strategischen Atomwaffen aus Europa vollends abziehen, dann würde die Türkei beispielsweise ganz schnell eigene Bomben bauen, unter Hinweis auf die Bedrohung durch den Iran. Und, so fragt „die Welt“, in wessen Händen wolle man die Bombe lieber sehen: In denen der türkischen, oder der amerikanischen Regierung?
Das Schlimme ist, dass das Argument nicht einer gewissen Logik entbehrt. Die Türkei, Israel, Indien, Pakistan, der Iran, Frankreich, Großbritannien, Nordkorea und China sind außer den beiden Großmächten derzeit noch in der Lage, Atomwaffen herzustellen, auch wenn es bei der Türkei noch ein paar Jahre dauern könnte. Die Präsenz amerikanischer Waffen veranlasst die türkische Regierung dazu, keine eigenen Schritte zu unternehmen, um die Bombe bauen zu können. Insofern könnte man tatsächlich sagen, dass die amerikanische Abschreckungspolitik der Nichtverbreitung der Atombombe dient. Es ist furchtbar zynisch, solche Argumente überhaupt erwägen zu müssen.
Ich bin in der Zeit des kalten Krieges aufgewachsen, und gerade in meiner Jugendzeit wurde über den NATO-Doppelbeschluss gestritten. Ich kann die Angst vor der Atombombe noch immer in mir fühlen, und ich werde nie die Rede von Petra Kelly im deutschen Bundestag vergessen, in der sie sich gegen das Wettrüsten engagierte und erschüttert von ihren Besuchen bei den Strahlenopfern von Hiroschima und Nagasaki sprach. Die Politikergeneration der siebziger und achtziger Jahre hat es zugelassen, dass neben den USA und der damaligen Sowjetunion noch andere, wesentlich unberechenbarere Staaten in den Besitz der Atombombe gekommen sind. Und obwohl heute keiner mehr ernsthaft darüber nachdenkt, ist die atomare Bedrohung stetig gewachsen, denn sie liegt zunehmend in der Hand machtgieriger, fanatischer Potentaten. Die wird man wohl kaum zu einer atomwaffenfreien Welt überreden können. Wir werden also auch in Zukunft mit der Bombe leben müssen, Abrüstungsverträge und Nuklearstrategien hin oder her.
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Ich glaube ja auch, daß wir mit der bombe werden leben müssen, einfach, weil sich die Uhr nicht zurückdrehen läßt. ansonsten… wir sollen froh sein, die Bombe nicht in noch unberechenbareren Händen zu wissen? Also ich weiß nicht: bis vor einigen jahren war es für mich, naiv wie ich nunmal bin, durchaus noch nicht berechenbar, daß ein Staat behaupten könte, gefährliche biologische und sonstige kampfstoffe bewiesenermaßen in einem land festgestellt zu haben und dann, nachdem der Krieg im Gange war, sagen würde: Ätsch, hab mich verguckt! Da war doch nix! Heute mag uns das vielleicht berechenbarer erscheinen als ein religiös geführtes land, aber so ganz einleuchtend finde ich das nicht. Es gibt die unterschiedlichsten Methoden und Motivationen, plötzlich doch mal durchzudrehen, nicht nur bei den scheinbar unberechenbaren Staaten. Und ob bei denen die Abschreckung wirkt, steht dann ja auch nochmal auf einem ganz anderen Blatt! Denn angenommen ich glaube, daß mein Gott mich auf ewig beschüttttund nie im Stich läßt oder das es, wenn ich doch draufgehen sollte, sein Wille war, dann lasse ich mich auch nicht abschrecken. Dann gehe ich im Zweifel aufs Ganze. wie man es dreht oder wendet: ich finde, die Abschreckung ist bei der heutigen politischen lage kein wirkliches Argument für Atomwaffen mehr.