Vor ein paar Tagen marschierten radikale Salafisten nachts durch Wuppertal. Sie trugen orange Westen, nannten sich „Scharia-Polizei“ und versuchten, Jugendliche am Disco-Besuch zu hindern und Passanten dazu zu nötigen, ihre Glaubensgrundsätze zu befolgen. Auf Flyern erklärten sie die wuppertaler Innenstadt zur „Scharia kontrollierten Zone“. Damit wird der islamfeindlichen Tendenz in der ddeutschen Bevölkerung neue Nahrung gegeben, und es werden diejenigen ins Unrecht gesetzt, die für religiöse Toleranz und mehr Offenheit und Nachsicht gegenüber radikalislamischen Strömungen eintreten.
Schon rufen sie wieder, die Leute, die unsere Gesellschaft für unterdrückerisch halten. In unverantwortlicher Weise werde nach den Vorfällen in Wuppertal gegen Muslime gehetzt und Stimmung gemacht, sagen sie. Dabei verhält sich die deutsche Polizei extrem zurückhaltend. Obwohl radikale Salafisten versuchen, in Wuppertal einfachen Passanten die Befolgung ihrer religiösen Regeln abzuverlangen, schritt die Polizei nicht ein. Das bloße Empfehlen der Einhaltung religiöser Regeln sei nicht strafbar, heißt es. Nicht einmal die orangen Westen mit dem Aufdruck „Scharia-Polizei“ könne man beschlagnahmen, es werde lediglich geprüft, ob es sich um einen Verstoß gegen das Verbot des Uniformtragens handle. Ich wäre angesichts dieser Handlungsweise stolz auf die deutsche Polizei, wenn sie sich gegenüber antifaschistischen Gruppen, der Linkspartei und anderen friedlichen Organisationen ähnlich tolerant verhalten würde. Doch dort sehen die Ordnungshüter eine Gefahr für unsere Gesellschaft heraufdämmern. Interessant ist, dass die Rechte der einschüchternden und nötigenden Salafisten in der deutschen Gesellschaft von eben jenen Linken verteidigt werden, die von staatlichen Stellen oft als Gegner behandelt werden. Meiner Ansicht nach wäre es an der Zeit, dass der Staat einmal eindeutig Position bezieht, was er dulden will und was nicht.
Es ist doch so: Mit der Scharia-Polizei versucht eine zahlenmäßig kleine Minderheit durch aggressives und penetrantes, wenn auch noch nicht durch gewaltsames Auftreten einer Mehrheit ihren puritanischen Willen aufzuzwingen. Man mag ja gegen Drogen, Glücksspiel, Pornographie und Prostitution sein, aber gegen Musik und Konzerte ist doch nun wirklich nichts einzuwenden. Menschen fühlen sich durch dieses Auftreten belästigt, sie sind verunsichert über den Grad der Autorität, den die selbst ernannten Polizisten besitzen, vermutlich auch über den Grad der möglichen Agression, der sie sich ausgesetzt sehen könnten. Dieses Auftreten stellt im Ergebnis die Einschränkung der persönlichen Freiheit der einfachen Passanten dar, die mit der sogenannten Religionspolizei konfrontiert werden. Dies kann der Staat nicht hinnehmen. Er ist gehalten, die Rechte seiner Bürger zu verteidigen. Natürlich haben die Salafisten das Recht, ihre Religion zu leben. Sie haben auch das Recht, über ihre Religion zu informieren und damit zu versuchen, andere Menschen von ihren Glaubensgrundsätzen zu überzeugen. Aber das muss meiner Ansicht nach auf eine friedliche, unaufdringliche Weise geschehen, die jedem Einzelnen auch faktisch die Wahl lässt, diese Grundsätze für sich selbst abzulehnen. Theoretisch haben die radikalen Salafisten in Wuppertal niemandes Freiheit eingeschränkt. Sie haben keine körperliche Gewalt ausgeübt. Allerdings nutzten sie die subtilen Mittel der Einschüchterung und versuchten auch, Menschen zu einer Änderung ihres Verhaltens zu bewegen, die sich nicht zuvor bereiterklärt hatten, über solche Fragen zu sprechen oder sich die salafistischen Verhaltensregeln durch den Kopf gehen zu lassen. Und hier überschritten die Salafisten die ihnen von der Verfassung auferlegten Grenzen. Dort wo die Freiheit anderer Bürger eingeschränkt wird, wo man selbst keine Toleranz gegenüber Andersgläubigen oder andersdenkenden besitzt, dort verletzt man selbst die Menschenrechte. Hier muss der Staat handeln.
Im Gegensatz zu der Zeit vor 10 Jahren, als auch ich wesentlich aufgepeitschter und aufgebrachter war über Ehrenmorde, Anschläge und maßlose Überheblichkeit mancher islamischer Personen und Gruppierungen, sehe ich heute das Heil in größtmöglicher Toleranz und gegenseitigem Verständnis. Wir können voneinander lernen. Das geht aber nur dann, wenn auch unser Staat und unsere Gesellschaft sich der eigenen Werte bewusst ist und sie mit der gebotenen freundlichen Klarheit vertritt. Und zu dieser Klarheit gehört meiner Ansicht nach auch, dass eine Grenze erreicht ist, wo die Freiheit der Nichtbefolgung religiöser Regeln durch die subtile Androhung von Gewalt eingeschränkt wird. Eine subtile Androhung von Gewalt ist bereits dort gegeben, wo die vertreter religiöser Gruppierungen bei ihrem Auftritt damit rechnen können, dass Menschen zukünftige Gewalt befürchten, und wo sie dieser Befürchtung nicht klar entgegentreten. In Wuppertal haben sich die Salafisten diese Befürchtung, ob sie nun zurecht besteht oder nicht, zunutze gemacht und versucht, ihre Religiösen Gebote durchzusetzen. Die wuppertaler Polizei reagierte mit fataler Hilflosigkeit. Die Politik übrigens auch, denn die stereotypen markigen Worte von der Verschärfung der Gesetze helfen auch nicht weiter. Eine Verschärfung der Gesetze tötet die Freiheit, die diese Gesetze eigentlich schützen soll.