Seit einigen Tagen wird in Deutschland über ein Verbot der Hotpants und bauchfreier T-Shirts an einigen Schulen diskutiert. Begründung einer Schulleiterin in Horb im Schwarzwald: Die Schülerinnen seien zu aufreizend gekleidet und störten das Schulklima. Ich frage mich: Was bringt eine solche Maßnahme, und was sagt die Begründung eigentlich aus?
Als ich meiner Liebsten, jener jungen Frau mittleren Alters, mit der ich oft interessante und bisweilen kontroverse Debatten ausfechte, einen Artikel der Taz unter dem Titel: Hotpantsverbot an Schulen: Aufreizend? Am Arsch! zur Lektüre empfahl, haben wir entgegen meiner Erwartung lang und ausführlich über das Thema gesprochen. Wie so oft waren wir uns nicht auf Anhieb einig, denn wir beide betrachteten unterschiedliche Facetten des Problems. Meine Liebste fragte sich: Warum schritt die Schule zu dieser Maßnahme? Waren die Lehrerinnen und Lehrer angesichts eines möglichen Wettbewerbs der Schülerinnen um die kürzesten Höschen, die aufreizendsten Klamotten, den erotischsten oder pornographischsten Look vielleicht einfach überfordert und wollten etwas tun, damit die Schülerinnenaufhören, sich immer mehr selbst zum Objekt zu degradieren? Auch ich stellte mir die Frage nach dem „Warum“, und ich hielt mich an die Antwort der Schulleiterin: Die schülerinnen seien zu aufreizend gekleidet, Sie wolle zu einem Schulklima beitragen, in dem sich alle wohlfühlten und gesellschaftliche und soziale Werte gelebt würden, schrieb sie in einem Brief an die Eltern.
Was ist es denn, was knappe Kleidung von Mädchen so aufreizend macht? Ist es nicht unsere eigene Definition von „aufreizend“? Steckt nicht die Meinung dahinter, dass irgendetwas passieren könnte, wenn man nichts unternimmt? Vor was haben die Lehrerinnen und Lehrer Angst? Ginge es lediglich um die Aufmerksamkeit pubertierender Jugendlicher im Bezug auf den Schulstoff, dann müsste man nicht von gesellschaftlichen und sozialen Werten sprechen, die es zu leben gelte. So sehr ich diese Ansicht normalerweise teile, dass nämlich gesellschaftliche und soziale Werte wieder mehr Gewicht bekommen müssten, so sehr lehne ich das in diesem speziellen Fall ab. Denn wenn man davon ausgeht, dass man mit dem Hotpantsverbot Übergriffe an der Schule verhindern will, dann überträgt man die Vorsorge für die Verhinderung sexueller Übergriffe auf die potentiellen Opfer, und dies ist ein Merkmal der sogenannten Vergewaltigungskultur, wie ein anderer Artikel aus der Taz es beschreibt, und wie ich es in diesem Blog auch schon einmal ausgeführt habe: Eine
Vergewaltigungskultur ist ein System von Weltanschauungen, das männliche sexuelle Aggression ermutigt und Gewalt gegen Frauen unterstützt. Es ist eine Gesellschaft, in der Gewalt als sexy und Sexualität als Gewalt betrachtet wird. In einer Vergewaltigungskultur erfahren Frauen eine fortgesetzte Androhung von Gewalt durch sexuelle Kommentare über sexuelle Berührung bis hin zur Vergewaltigung selbst. In einer Vergewaltigungskultur wird physischer und emotioneller Terror gegen Frauen als normal betrachtet. Männer und Frauen nehmen an, dass sexuelle Gewalt einfach eine unvermeidbare Tatsache ist, genau wie die Steuern oder der Tod. Doch diese Gewalt ist weder biologisch noch durch göttliche Weisung aufgezwungen. Vieles von dem, was wir als unabänderlich betrachten, ist in Wahrheit der Ausdruck von Normen und Werten, die sich ändern können. Vergewaltigungskultur ist der Gedanke, Vergewaltigung als Kompliment zu betrachten, als unverhüllte Leidenschaft, die in einem gesunden Mann durch den Anblick einer schönen Frau ausgelöst wird. Es gehört zur Vergewaltigungskultur, Frauen und Mädchen zu raten, vorsichtig zu sein bei der Frage was sie anziehen, wie sie etwas tragen, wie sie sich bewegen, mit wem sie wo spazieren gehen, wem sie Vertrauen, was, wo und mit wem sie etwas unternehmen, was, wo und mit wem sie etwas trinken, ob und mit wem sie in welcher Situation Augenkontakt herstellen, ob sie irgendwo allein hingehen, oder mit wem sie wo hingehen, was sie bei sich tragen und wo, welche Schuhe sie anziehen sollten, falls sie wegrennen müssen und so weiter. Und wenn sie tatsächlich sexuell belästigt werden und sind sie nicht allen Regeln gefolgt, sind sie selbst schuld. Eine Vergewaltigungskultur überträgt die Vorsorge und Verhinderung von Vergewaltigungen den Opfern. Sie lehrt Frauen, vernünftig und verantwortungsbewusst zu sein, sich nicht provokant zu kleiden, bestimmte Orte zu meiden und ähnliches, versäumt es aber, Männer zu lehren, Frauen nicht zu vergewaltigen. Aber eine Vergewaltigungskultur diskriminiert auch in besonderer Weise die Männer. Sie suggeriert, dass Männer gar nicht anders können, als beim Anblick einer schönen, halbnackten Frau, einen sexuellen Übergriff durchzuführen. Sie suggeriert, dass Männer sich nicht beherrschen können, und dass dies unabänderlich und unkontrollierbar ist, und sie bürdet Männern einen unerträglichen Schuldkomplex auf. Das Verbot der Hotpants folgt genau diesem Schema, denn es sind die Mädchen, die dafür Sorge tragen müssen, dass die Jungen sich mehr konzentrieren, dass sie nicht übergriffig werden, dass das gute Klima an der Schule erhalten bleibt. Wenn etwas passiert, und das beteiligte Mädchen hat Hotpants getragen, ist es ja kein Wunder, dass etwas geschehen ist, das Mädchen hat vielleicht nicht die Schuld, aber die Verantwortung gehabt, und die hat sie nicht wahrgenommen, denn die triebgesteuerten Männer wären zur Übernahme der Verantwortung ohnehin nicht in der Lage.
Meine Liebste fand die Verknüpfung des Hotpantsverbots mit der Vergewaltigungskultur übertrieben. Sie glaubt, dass es sich um eine, wenn auch unangemessene, Reaktion auf die Zustände in Schulen handelt, wo es manchen Schülerinnen nicht mehr um den Schulstoff geht, sondern um die Zurschaustellung ihrer sexuellen Attraktivität. Im harten Konkurrenzkampf der Jugendlichen um Anerkennung durch ihre Altersgenossen fallen die, die nicht sexy gekleidet sind, einfach durch. Ich habe heute zu wenig mit Jugendlichen zu tun, um dies aus eigener Erfahrung bestätigen zu können, aber das, was ich so aus den Medien höre, legt nahe, dass meine Liebste vollkommen recht hat. Nur schließt das Eine das Andere nicht aus. Gegen den Konkurrenzkampf, die Abwertung der weniger Hübschen, die Hierarchie jugendlicher Kleiderordnungen könnte man vielleicht tatsächlich etwas unternehmen, wenn man eine Kleiderordnung für die gesamte Schule einführt, wie es in Horb geplant ist. Bei allen Nachteilen, die eine Schuluniform möglicherweise mit sich bringen könnte, würde sie doch die rein äußerlichen sozialen und Attraktivitätsunterschiede teilweise überdecken und könnte sogar, von anderen Maßnahmen flankiert, für ein Gemeinschaftsgefühl in einer Schule sorgen. Um diesen Aspekt ging es aber dem Schulkollegium nicht, den können sie durch diese Äußerlichkeiten ohnehin nicht in den Griff bekommen, wenn man nicht mit Eltern und Schülern zusammenarbeitet und auch das häusliche Klima der Familien berücksichtigt. Es ging um die aufreizende Kleidung von Mädchen, und deswegen ist das Verbot der Hotpants in jedem Falle abzulehnen. Jungen tragen auch in der Schule kurze Hosen, sie laufen am Strand oben ohne herum, und niemand kommt auf die Idee, sie dazu anzuhalten, dafür zu sorgen, dass sie nicht von sexhungrigen Mädchen angegrabscht werden, oder es als gesellschaftlich und sozial unangemessen zu bezeichnen, dass sie so durch die Gegend laufen. Man mag sich über ihren Geschmack oder ihr Gehabe aufregen, je nachdem, welches Semester man selbst ist, aber das war es auch schon. Dass Jungen sich auf diese Weise prostituieren, degradieren oder das Klima stören habe ich jedenfalls noch nicht gehört. Vielleicht empfinden das Menschen im Einzelfall so, aber eine gesellschaftliche Normalität ist es nicht, und man würde auch keine Maßnahmen ergreifen.
Deshalb ist meiner Ansicht nach der Zusammenhang zwischen dem Hotpantsverbot und der Vergewaltigungskultur korrekterweise von der taz hergestellt worden. Kleidungsvorschriften in der Schule haben nur dann einen gesellschaftlichen Wert, wenn sie sich nicht nur gegen Hotpants, bauchfreie Shirts und Hängehosen, sondern auch gegen teure Markenartikel sowie kaputte und vernachlässigte Kleidung richten, wenn sie also dazu dienen, soziale Ungleichheit auszugleichen und Mobbing und andere Formen sozialer Ausgrenzung zu verhindern. Diese Schuluniformen könnten dann für die 16- bis 18jährigen Schülerinnen und Schüler sogar modisch und hübsch sein, sie müssten ja nicht fantasielos gestaltet werden. Das würde aber allen zugute kommen und würde keine überkommenen Werte von sexueller Schuld und Verantwortung zementieren.
p. S.: Gerade heute ist ein Artikel in der SZ über die Zensur weiblicher Brustwarzen auf Facebook und Instagramm erschienen. Putin mit nacktem Oberkörper auf einem Pferd, das kann man hochladen, eine Frau, die dasselbe tut, das verstößt gegen die Richtlinien der Plattformen. Schafft eine Frau es, ihre Brustwarzen durch männliche Brustwarzen zu überkleben bzw. zu verdecken, kommt sie durch den Filter mit ihrem Bild. Die Betreiber rechtfertigen sich damit, dass sie eine für Jugendliche geeignete Plattform schaffen wollen. Das bedeutet: Männliche Nacktheit ist für Kinder und Jugendliche okay und nicht anstößig, weibliche schon. Wenn man schon aus Jugendschutzgründen Nacktheit verbietet, dann wäre es gesellschaftlich konsequent und logisch, alle Nacktheit zu verbieten.
p. p. S.: Dieser Beitrag wird nach und nach immer länger. Sowohl mit meiner Liebsten als auch mit einer weiteren Freundin habe ich auch nach nach Veröffentlichung dieses Artikels debattiert. Dabei kam heraus, dass es weitere, auch für mich einleuchtende Gründe für ein Verbot sogenannter aufreizender Kleidung an Schulen geben kann. Dabei ist wichtig, dass es eben nur an Schulen gilt. Zum Einen sollte man sich über die Wirkung, die Kleidung hat, zum Beispiel am Arbeitsplatz, beim Vorstellungsgespräch und so weiter, bewusst sein, und zum Anderen verdienen bestimmte Institutionen und Anlässe eine angemessene Kleidung. In der Schule sollte es nun einmal um das Lernen gehen, das gilt für Jungen wie für Mädchen. In der Schule ist eben nicht der Platz für Erotik und Sexualität, in der Freizeit kann das ganz anders sein. Diese Argumente kann ich nachvollziehen, und man kann auch sie allgemein als Begründung für Schuluniformen heranziehen. Vielleicht ist es ja das, was die Schule in Horb nach den Sommerferien gemeinsam mit Schülern, Eltern und Lehrerkollegium tut.
1. Jepp, Schuluniform find ich gut und ich wuerde sogar (wieder) die Geschlechtertrennung einfuehren, ganz einfach damit die jungen Damen und Herren sich besser auf den Unterricht konzentrieren koennen und die Gedanken nicht zu sehr in die … naja sagen wir mal Freizeitaktivitaeten *g* abdriften und Geschlechtertrennung meint bei mir verschiedene Gebaeude oder gar Gelaende, nicht nur zwei Haelften in einem Klassenzimmer und meine Schuluniformen waeren wohl huebsch und schick, sodass die Schueler nicht wie die Deppen aussaehen, aber aus diesem Grund auch ganz bestimmt nicht phantasievoll, wie man das Wort in Bezug auf andere Kleidung heute gerne mal versteht… Meine Schulzeit sah anders aus und das hat mir, wie ich heute finde, geschadet, neben der mangelnden Disziplin insgesamt, womit jetzt kein militaerischer Kasperkram gemeint ist. Ich bin nebenbei im Besitz einiger ultrabescheuerter Hosen, die ich mir versehentlich kaufte, und bei denen man immer das Gefuehl hat, sie verkehrt herum zu tragen – vorne ist hinten und umgekehrt – so fuehlt es sich jedenfalls an – solche modischen Phantasien braucht niemand! … genauso wie solche in Form von Maennerhemden ohne Brusttaschen – die habe ich ausserdem noch hier rum fliegen und das sind meiner Ansicht nach keine Maennerhemden sondern Frauenblusen, die es aber in der Herrenbekleidung zu kaufen gab. Nun, ich schweife ab… regt mich aber jedes mal auf’s neue auf sobald ich die Fetzen in den Fingern habe… *g*
2. „Vergewaltigungskultur“ ist eines dieser vielen dusseligen Schlagworte aus der Marketingabteilung der Politik. *WIR* haben sicher keine Vergewaltigungskultur – wie das mit einigen Zugereisten aussieht, mag sich natuerlich unterscheiden. Ach, ich weiss schon was kommt, frueher musste die Frau auch hier gehorchen usw. Das kann man schlicht abschmettern: Heute ist das nicht mehr (oder noch nicht wieder?) die Regel – Punkt – unabhaengig davon wie es hier seinerzeit tatsaechlich aussah.
3. Die Gleichstellung von maennlichen und weiblichen nackten Oberkoerpern bzgl. der Wirkung auf den jeweils anderen scheint mir etwas arg kuenstlich. Der Unterschied ergibt sich schon allein aus der Tatsache, dass die weibliche Brust immerhin die Babys ernaehrt und somit fuer den biologischbasierten Teil der Partnerwahl von gehoeriger Bedeutung ist wie bspw. auch das vielgepriesene gebaehrfreudige Becken. In Naturvoelkern, die es ja heute, wenn ueberhaupt, kaum noch gibt, liefen Mann und Frau ja gerne mal total nackt rum wie heute stellenweise noch in der Familien-FKK, das ist aber immer noch etwas anderes als die Geschlechtsmerkmale betont zur Schau zu stellen. Letzteres wird nun mal nach unserem biologischen Programm als Aufforderung zur Fortpflanzung verstanden, ob das den Gendermainstreamern nun passt oder nicht. Damit einher gehen in unserem Chaos obendrein dann eben auch gewisse sexuelle Aggressionen und in einer so kaputten Gesellschaft wie wir sie heute haben, wundert es mich nicht, dass es zu Entgleisungen kommt. Veranschaulicht gefragt: Wieso sollte ein Mann Ruecksicht auf das Lebewesen Frau nehmen wenn die Ruecksichtslosigkeit in allen anderen Bereichen jenseits der Sexualitaet auch allgegenwaertig und „normal“ ist? *DANN* auch noch zu erwarten, dass man aufreizende Kleidung, die man in dieser Form frueher bestenfalls in Bordellen oder auf dem Strassenstrich anzog, uebersieht wie die hausputzmontur, halte ich doch fuer etwas … naja sagen wir ausserirdisch und man sollte sich unbedingt mal fragen was mit dieser kuenstlichen Verwunderung ueber die Folgen bezweckt wird. Einerseits wird das Volk so erzogen, dass es von morgens bis abends nur ans Kreuz&Quer-F!ck3n denkt, andererseits tut man so als ob man verlangt, dass das alles aeusserst respektvoll abgeht, entgegen der Vermittlung durch Film und Musik etc. Tut es nicht und ist wohl auch gar nicht gewollt weil es neben anderem mal wieder zum Unverstaendnis der Menschen untereinander beitraegt… Nicht alles was seinerzeit geordnet ablief war schlecht – diese Dinge sind meistens eben auch aus Erfahrungen gewachsen – und da koennten wir stellenweise sogar noch von der einen oder anderen „weniger fortschrittlichen“ Kultur lernen (evtl. wieder das Vergessene neu erlernen).
Und der scheinbare Widerspruch oder so in Punkt 2 und 3 ergibt sich aus dem wie wir eigentlich sind und was man aus uns macht/machen will.
@November: Auf das Meiste will ich hie gar nicht eingehen und das als Meinung einfach so stehen lassen. Eine Sache liegt mir allerdings am Herzen: Getrennte Schulen finde ich gar nicht gut. Wie soll man einen normalen Umgang miteinander lernen, wenn nicht im Arbeits- also auch Schulalltag, wo gegenseitige Hilfeleistung bei Hausaufgaben, Teamarbeit usw gefördert werden soll. Das braucht man später im Leben auch.