Wir sind mitten im Wahlkampf, und so langsam müssen wir uns von der Frage, was wir nicht wollen, hinwenden zu der Frage, was wir denn eigentlich wollen.
Guten Tag ihr Tröten allerlei Geschlechts: Bis zum Wahltag werde ich versuchen, mich täglich zu Wort zu melden, auch um euch Gründe zu liefern, warum ihr diesmal Taktisch wählen solltet. Auch will ich was zum momentanen Wahlrecht sagen, das ziemlich kompliziert ist. Wir müssen alle für unsere Demokratie kämpfen, auch wenn wir uns mit keiner der großen oder halbgroßen Parteien so richtig anfreunden können.
Zu meinem heutigen Beitrag muss ich etwas vorausschicken: Ich bin Mitglied der SPD und auch in einem Ortsverein aktiv. Trotzdem bin ich längst nicht mit allem einverstanden, was meine Partei so macht. Ich glaube aber, dass wir eine gemäßigte Partei links der Mitte brauchen, in der das soziale Thema zumindest noch irgendeine Rolle spielt. Bei dieser Wahl ist es nämlich verdammt wichtig, dass wir keine Stimmen verschenken. Die Demokratie an sich steht auf dem Spiel.
In Deutschland gilt bei einer Wahl die 5-%-Hürde. Nur Parteien, die 5 % der gültigen Zweitstimmen haben, oder die in drei Wahlkreisen über die Erststimme ein Direktmandat errungen haben, werden bei der Sitzverteilung im deutschen Bundestag berücksichtigt. Das heißt also: Wenn am Wahlabend eine Partei 30 % der Stimmen hat, hat sie wahrscheinlich 33 bis 35 % der Sitze, und das kann entscheidend sein. Das würde der AfD z. B. helfen, die Wahl von Verfassungsrichtern zu verhindern.
Also ist es diesmal wichtig zu verhindern, dass die AfD auf jeden Fall nicht die Sperrminorität der 33 % der Sitze im Bundestag bekommt, das wäre ein drittel der Abgeordneten. Das kann sie aber auch schon erreichen, wenn sie einige Prozent weniger an Stimmen hat. Und je mehr WählerInnen gar nicht wählen, ungültig wählen oder ihre Stimme Parteien geben, die nicht in den Bundestag einziehen, desto besser ist das für die AfD.
Einige Demonstrantinnen und Demonstranten haben schon öffentlich gesagt, dass sie nicht nur gegen Friedrich Merz und seine Annäherung an die AfD protestieren, sondern auch gegen die Untätigkeit, die Feigheit und die Kapitalismushörigkeit der anderen Parteien, insbesondere der SPD. Ich kann diese Gefühle nachvollziehen. Die SPD besitzt praktisch kein Vertrauen mehr in der Bevölkerung, und die Gründe liegen auf der Hand. Auch sie ist eine neoliberale Partei.
Doch ich muss etwas sagen, was viele von euch und Ihnen ärgern wird: Diesmal kommt es darauf nicht an. Protest gegen SPD und Grüne kann man immer äußern, sie planen nicht, Deutschland in eine faschistische Diktatur zu verwandeln, was auch immer sie sonst in euren Augen falsch machen mögen. Wir müssen in dieser Wahl Parteien wählen, die auf keinen Fall der AfD den Boden bereiten, oder zumindest es mit größerer Wahrscheinlichkeit nicht tun.
Ja, auch ich finde es schändlich, dass Olaf Scholz ebenfalls von der Migration als dem drängendsten Problem redet. Trotzdem würde die SPD niemals mit der AfD koalieren, und sie hat daher auch nach der Wahl noch die Möglichkeit, ihren Kurs zu ändern. Dasselbe gilt für die Grünen, die aber jetzt schon zu verstehen geben, dass sie durchaus bereit sind, mit dem Steigbügelhalter Merz zusammenzuarbeiten. Und auch diese Partei kann ich daher nicht wählen.
Nun will ich nicht sagen, dass die SPD bei der kommenden Wahl alternativlos ist. Man kann zum Beispiel die Linke wählen und dafür sorgen, dass sie wieder in den Bundestag einzieht. Das würde ich sehr begrüßen. Aber wir müssen uns auch darüber im Klaren sein, dass die Linke ein schwieriger Koalitionspartner ist. Denn auch sie möchte sich, verständlicherweise, nicht entzaubern lassen. Für ihre Wähler*innen ist sie unnachgiebig links und sozial. Das wird sie nicht aufgeben wollen.
Was ich sagen will ist, dass wir nicht in den Fehler verfallen sollten, vor allem die Parteien abzustrafen, die uns ihrem Wesen nach näher stehen als CDU und AfD. Das ist eine typische Krankheit linker Wähler*innen, die Enttäuschung über negative Verhaltensweisen von potenziellen Freunden härter zu beurteilen als das erwartbar feindliche Verhalten der Anderen. Auch ich rege mich über Olaf Scholz auf und bin von Nancy Faeser enttäuscht. Trotzdem werde ich SPD wählen.
Diesmal ist unser Problem nämlich so groß, dass es gilt, die Grundlage dessen zu retten, was uns überhaupt ermöglicht, über politisches Fehlverhalten zu streiten: Die Demokratie selbst. Und links von CDU und AfD müssen wir lernen, zusammenzugehen und Kompromisse zu schließen, und zwar nicht einseitig, sondern gegenseitig. Das wird schwer sein, denn wir Linken sind es nicht gewohnt. Der Hauptfeind der Kommunisten bei der Machtergreifung der Nazis war die SPD.
Wir sollten es unbedingt besser machen. Linke, SPD und Grüne, wenn sie noch wollen, sollten zusammenarbeiten, sollten versuchen, eine gemeinsame Regierung zu bilden, wenn es möglich ist, um mehr zu tun, als nur Sachwalterpolitik zu treiben. Vermutlich wird es für diesmal nur ein Traum sein, doch wenn wir gemeinsam die Demokratie retten, könnte er bei der nächsten Wahl Wirklichkeit werden.