In Deutschland nehmen wir oft an, dass unsere Medien uns ein halbwegs realistisches Bild der Welt vermitteln. Doch wenn wir genauer hinsehen, erkennen wir, dass wir über zentrale Entwicklungen oft nur bruchstückhafte oder sogar verzerrte Informationen erhalten. Zwei aktuelle Themen zeigen dies besonders deutlich: der schleichende Staatsstreich in den USA und die Mythen rund um die deutsche Migrationspolitik. Beides sind Themen, bei denen die Berichterstattung entweder unzureichend oder bewusst irreführend ist.
Die politische Entwicklung in den USA wird in Deutschland oft noch mit einer Art Routineblick betrachtet: Da gibt es Wahlen, mal gewinnt die eine Partei, mal die andere, und Donald Trump ist zwar ein Problem, aber die demokratischen Institutionen werden schon irgendwie standhalten. Doch genau diese Wahrnehmung ist fatal. Experten wie Annika Brockschmidt und andere warnen seit Jahren, dass in den USA ein echter Staatsstreich im Gange ist – nicht in Form eines einzigen dramatischen Ereignisses, sondern als langfristiger, systematischer Prozess. Trump und seine Verbündeten haben bereits den Supreme Court mit Hardlinern besetzt, setzen Richter auf allen Ebenen ein, untergraben Wahlen durch Wahlrechtsbeschränkungen und haben mit dem Angriff auf das Kapitol am 6. Januar 2021 deutlich gemacht, dass sie bereit sind, Gewalt einzusetzen.
Doch die deutsche Berichterstattung nimmt das nicht ernst genug. Sie verharrt in alten journalistischen Gewohnheiten, in denen politische Prozesse als normale demokratische Auseinandersetzungen behandelt werden. Statt zu analysieren, dass der Supreme Court mittlerweile auf eine Art und Weise entscheidet, die systematisch die Demokratie aushöhlt, wird weiter so getan, als ob es sich um eine reguläre Justiz handele. Statt klar zu benennen, dass Trump und seine Verbündeten gezielt das Wahlsystem manipulieren, um selbst dann zu gewinnen, wenn sie eigentlich verloren haben, werden weiterhin Schlagzeilen produziert wie „Republikaner legen Einspruch gegen Wahlergebnisse ein“, als wäre das ein gewöhnlicher, legitimer Vorgang. Doch es geht hier nicht um zwei gleichberechtigt nebeneinanderstehende Meinungen, sondern um Lügen, die nicht dadurch wahrer werden, dass man sie fair behandelt.
Ein Beispiel für diese journalistische Betriebsblindheit ist die Berichterstattung über Joe Biden. Die amerikanischen Medien selbst tragen dazu bei, das Bild eines „schwachen, senilen Präsidenten“ zu verbreiten, obwohl Biden inhaltlich die erfolgreichste progressive Politik seit Jahrzehnten gemacht hat. Auch in Deutschland wird dieser Frame übernommen, während über Trump oft berichtet wird, als sei er ein „normaler“ Präsidentschaftskandidat und nicht ein Mann, der angekündigt hat, dass er eine Diktatur errichten will, sobald er an die Macht kommt. Und im Grunde hat er damit längst begonnen: In Bundesstaaten wie Wisconsin kann die Republikanische Partei mit 45 % der Stimmen fast 75 % der Sitze im Parlament gewinnen – ein klares Zeichen für eine Demokratie, die ausgehöhlt wird.
Während in den USA investigative Medien wie „ProPublica“ oder einzelne Journalisten tiefgehend über diese Entwicklungen berichten, sind deutsche Medien oft auf Nachrichten angewiesen, die von großen amerikanischen Agenturen kommen. Doch viele dieser Agenturen folgen selbst noch alten journalistischen Konventionen, die in dieser Situation ungeeignet sind. Die Vorstellung, dass man „beide Seiten zu Wort kommen lassen muss“, führt dazu, dass Trump und seine Leute fast ohne kritische Einordnung ihre Propaganda verbreiten können.
Ähnlich problematisch ist die Berichterstattung über Migration in Deutschland. Immer wieder wird behauptet, dass Deutschland besonders großzügig mit Geflüchteten sei, dass die Asylpolitik von SPD und Grünen viel zu weich sei, und dass nur mit noch schärferen Maßnahmen verhindert werden könne, dass die AfD weiter wächst. Doch nichts davon hält einer Überprüfung stand. Während Asylverschärfungen oft als Strategie verkauft werden, um die AfD zu schwächen, zeigen Wahlanalysen, dass die AfD in Regionen mit besonders restriktiver Asylpolitik oft besonders stark ist.
Die Bundesregierung hat in den letzten Jahren zahlreiche Verschärfungen im Asylrecht beschlossen. Grenzkontrollen, Abschiebungen in unsichere Länder, die Einschränkung von Sozialleistungen – all das geschieht bereits. Trotzdem halten sich in vielen Medien die Narrative, dass SPD und Grüne „naiv“ seien und sich gegen Kompromisse sperren würden.
Ein Grund dafür ist die Art, wie über das Thema berichtet wird. Statt nüchtern darzustellen, dass Deutschland bereits eine der restriktivsten Asylpolitiken in Europa hat, übernehmen viele Medien die Sprache der Rechtspopulisten. Begriffe wie „Asylchaos“, „Migrationskrise“ oder „Überforderung des Sozialstaats“ prägen die Berichterstattung, obwohl die Zahlen klar zeigen, dass Deutschland durchaus in der Lage wäre, mit der aktuellen Migration umzugehen – wenn man es denn politisch wollte.
Die Behauptung, dass härtere Maßnahmen die AfD schwächen würden, ist besonders absurd. In Wahrheit passiert das Gegenteil: Jedes Mal, wenn die Regierung den Forderungen der Rechten nachgibt, verschiebt sich der politische Diskurs weiter nach rechts. Die AfD kann dann behaupten, dass sie mit ihren Forderungen richtig liegt und noch weiter gehen muss. Das zeigt sich zum Beispiel an den jüngsten Asylverschärfungen: Obwohl die Regierung in vielen Punkten den Kurs von CDU und CSU übernommen hat, profitiert die AfD weiterhin in Umfragen.
Das Problem in beiden Fällen – sowohl beim Thema USA als auch bei der Migration – ist, dass viele Medien noch nach alten Regeln arbeiten, die in der heutigen Zeit nicht mehr funktionieren. In einer stabilen Demokratie mag es sinnvoll sein, immer beide Seiten eines politischen Konflikts darzustellen und eine neutrale Sprache zu verwenden. Aber was passiert, wenn eine Seite gar nicht mehr demokratisch ist? Was passiert, wenn eine Seite gezielt Lügen verbreitet und die Medien das einfach als eine „Meinung“ weitergeben?
Beim Thema Migration sehen wir, dass Medien durch ihre Wortwahl und Themenauswahl ein bestimmtes Bild der Realität erzeugen. Statt Fakten in den Mittelpunkt zu stellen, übernehmen viele Redaktionen unkritisch Begriffe und Argumentationsmuster der Rechten. Beim Thema USA ist es ähnlich: Statt klar zu sagen, dass dort eine Diktatur vorbereitet wird, wird die Krise als gewöhnlicher politischer Streit dargestellt. Während traditionelle Medien an überholten Routinen festhalten, haben soziale Medien das Problem noch verstärkt: Algorithmen bevorzugen aufsehenerregende und polarisierende Inhalte, was dazu beiträgt, dass Falschinformationen sich noch schneller verbreiten.
Diese Art der Berichterstattung führt dazu, dass das Publikum am Ende nicht gut informiert ist. Viele Menschen haben keine Ahnung, wie gefährlich die Lage in den USA wirklich ist. Sie glauben, dass Migration ein größeres Problem sei, als es tatsächlich ist, und dass die Regierung nichts dagegen tue – obwohl das Gegenteil der Fall ist.
Wenn Medien ihrer Aufgabe gerecht werden wollen, müssen sie alte Routinen hinterfragen. Sie dürfen nicht länger nur das berichten, was in den Nachrichtenagenturen vorgegeben wird, sondern müssen tiefer recherchieren. Sie müssen klarer benennen, wenn Politiker Lügen verbreiten, anstatt neutral von „umstrittenen Aussagen“ zu sprechen. Und sie müssen sich der Verantwortung bewusst sein, die sie haben, wenn es um Themen geht, die unsere Demokratie direkt betreffen.
Eigentlich ist all dies schon seit Jahren bekannt, aber die Medien gebärden sich wie ein träges Schiff in stürmischer See. Es ist kaum möglich, sie auf einen neuen Kurs zu bringen. Wenn sie es aber nicht bald schaffen, auch ihre Verantwortung als sogenannte vierte Gewalt für den Schutz und die Erhaltung der Demokratie wahrzunehmen, wird es zu spät sein.
Leseempfehlungen:
Altpapier im MDR vom 07.02.2025: Journalismus mit geschlossenen Augen/a>.
Mythos Asyl-„Kompromiss“: So sehr werden wir belogen.