Zurück zu Mastodon: Was erwarte ich von einem sozialen Netzwerk?

Es gehört zu meiner morgentlichen Routine: Erst nach Mails schauen, dann Twitter öffnen und die neuesten Nachrichten lesen. Seit Jahren beschränke ich mich allerdings darauf, Medien oder Personen zu folgen, die für mich wichtige Informationen und tiefere Einblicke in aktuelle Themen verbreiten. Die Zeiten, in denen ich morgens oft eine Weile mit anderen plauderte, ein paar Grüße austauschte, aber auch bisweilen kontrovers über aktuelle politische und gesellschaftliche Entwicklungen debattierte, sind längst vorbei. Ein Grund ist, dass Twitterdebatten mittlerweile oft grundsätzlicher Natur sind, dass sich viele schnell persönlich angegriffen fühlen, dass eine unterschiedliche Meinung in einem oder zwei Punkten oft dazu führt, dass man als ganze Person abgewertet wird. So wurde Twitter für mich zu einem reinen Informationsmedium, und nur ganz wenige der Kontakte, die ich damals über das soziale Netzwerk knüpfte, haben sich gehalten. Nun hat der Multimilliardär Elon Musk Twitter gekauft. Er gilt als Verfechter der Meinungsfreiheit, was in seinem Falle bedeutet, dass gerade auch Trolle, rechte Hetzer und Pöbler in seinem unregulierten Netzwerk ungestraft auftreten dürfen sollen. Spätestens dann, wenn Twitter zu einem Ort geworden ist, an dem jegliche Regulierung und jeglicher Persönlichkeitsschutz wegfällt, werde ich die Plattform verlassen. Also habe ich schon einmal begonnen, mich nach Alternativen umzusehen.

Schon vor vier Jahren stieß ich auf das sogenannte Fediversum, ein dezentrales soziales Netzwerk, in dem es nicht eine einzige Plattform gibt, sondern jede und jeder Dienste anbieten kann, die aber untereinander vernetzt sind. Einigermaßen barrierefrei erwies sich dabei der Dienst Mastodon, der einige Ähnlichkeiten mit Twitter aufweist, aber eben nicht von einem Konzern gebaut und geleitet wird, sondern aus sehr vielen, unabhängig geführten Instanzen mit eigenen Regeln besteht, auf denen man sich anmelden kann. Ein bisschen wie Mailserver, die sich auf unterschiedliche Themen, Regionen oder Gruppen spezialisieren. Damals, 2018, hatte Mastodon ungefähr eine Million Mitglieder, und einige Leute von Twitter legten sich dort einen Account zu, staunten eine Weile über den freundlichen Umgangston und verschwanden bald darauf wieder. Ich gehörte auch dazu. Inzwischen ist das Netzwerk auf mehr als 5 Millionen Nutzer*innen angewachsen, und jetzt wage ich einen zweiten Anlauf.

Und wie vor vier Jahren stelle ich mir die Frage, was ich eigentlich von einem sozialen Netzwerk erwarte. Warum nutze ich eine solche Plattform überhaupt? Als ich vor 13 Jahren bei Twitter anfing, war die Antwort klar: Da war eine faszinierende Kommunikationstechnik, mit deren Hilfe man sich mit vielen Menschen austauschen konnte, die den eigenen Horizont erweitern könnten. Soziales Netzwerk hieß damals: Neue Leute kennenlernen, den eigenen Blickwinkel erweitern, sich mit anderen Menschen austauschen. Je größer das Netzwerk wurde, desto mehr entdeckten die Medien und einflussreiche Persönlichkeiten die Plattform, um ihre Informationen zu verbreiten, und plötzlich lösten sich die kleinen Blasen persönlicher Bekanntschaften und Interessensverbände auf in große Blasen, die sich um Personen des öffentlichen Lebens oder um Medien gruppierten. Spätestens mit Donald Trump wurde Twitter zu einer Verbreitungsplattform für meinungsstarke und finanzkräftige politische Einflüsterer. Sie bestimmten von da an auch die Themen, über die geredet wurde. Das Klima wurde rauher, ich saß oft daneben, beobachtete Shitstorms und Streitigkeiten, mischte mich nur noch selten ein und verbreitete nur noch meine Blogbeiträge, die zunehmend weniger Twitterer interessierten.

Jetzt bin ich also auf Mastodon und frage mich: Was will ich eigentlich? Auch hier folge ich schon wieder einigen Medien und Personen, die mir Informationen zugänglich machen, aber ich folge auch allen, die mir als Neuling folgen, und bin daran interessiert, was sie zu sagen haben. Ein paar Menschen, die wie ich von Twitter gekommen sind, begrüße ich morgens wieder mit einem netten „hallo“, doch es ist nicht mehr so, dass ich voll Enthusiasmus auf neue Leute zugehe oder schnell neue Kontakte knüpfe. Vermutlich liegt das daran, worüber ich tröte, wie man das Posten auf Mastodon nennt. Bei mir steht immer noch die Politik im Vordergrund, es ist nun einmal ein Thema, mit dem ich mich intensiv befasse. Viele auf Mastodon reden ausführlich über Technik, und da kann ich wenig mithalten. Was also mache ich hier? Und was will ich sagen?

Und wenn ich genauer darüber nachdenke, stelle ich mir eigentlich die Frage: Was habe ich zu sagen? Auf Twitter lernt man mit der Zeit, sich der Aufmerksamkeitsökonomie zu unterwerfen. Nur, wenn du etwas zu sagen hast, was für viele als objektive Information oder als Meinungsbestätigung wertvoll ist, erhältst du Anerkennung durch Likes und Retweets. So misst man auf Twitter Bekanntheit, Beliebtheit und Einfluss. Viele sind vermutlich auch deshalb schnell wieder von Mastodon weggegangen, weil sie nicht so einfach wie auf Twitter eine hohe Reichweite für sich generieren konnten. Aber ist es das, worauf es bei einem sozialen Netzwerk ankommt?

Nein. Ein soziales Netzwerk sollte zumindest auch ein zwischenmenschliches, achtsames, persönliches Netzwerk sein. Ich beobachte, dass sich auf Mastodon ein paar Leute trauen, z. B. davon zu sprechen, dass sie für ihre psychische Hygiene mal eine Medienpause machen, dass sie Schwierigkeiten damit haben, mit den derzeit überwiegend schlechten Weltnachrichten umzugehen. Dafür erhalten sie dort Zuspruch und – nach meinen Beobachtungen – keine Häme. Und wenn ein Netzwerk wirklich sozial ist, dann kann man auch z. B. die Follower mal fragen, ob sie Lösungen für praktische Probleme wissen. Als es vor ein paar Tagen so aussah, als könne einer unserer Freunde uns nicht wie sonst immer nach Holland in den Urlaub fahren, habe ich kurz überlegt, auf Mastodon zu fragen, ob man jemanden wisse, der oder die das tun würde. In meiner Anfangszeit auf Twitter, als ich noch persönliche Gespräche führte, hätte ich das womöglich getan. Doch inzwischen würde ich mich das vermutlich nicht mehr trauen. Ein virtuelles soziales Netzwerk kann eben keine guten Freunde im persönlichen Umfeld ersetzen. Dieser Anspruch wäre viel zu groß.

Vermutlich kann ein soziales Netzwerk so etwas wie ein erweiterter Bekanntenkreis sein, in dem man freundlich miteinander über viele Themen sprechen kann, und wo es möglich ist, sich praktischen Rat und Hilfe zu holen, wenn man selbst auch bereit ist, solche Hilfe zu geben. Dabei kann man sich im Laufe der Zeit kennenlernen. Der Nachteil ist eben, dass auf Plattformen wie Twitter viele Prominente sich eine Massenbasis aufgebaut haben. Das funktioniert bei einem Netzwerk mit eigenen Geschäftsinteressen, mit einem Algorithmus, der bestimmt, was man am häufigsten zu sehen bekommt, recht gut. Bei Mastodon, das aus vielen kleinen Instanzen mit eigenen Moderatoren besteht, wo die Zeitleiste des Nutzers nichts anderes ist als der chronologische Nachrichtenstrom der Tröts, denen man folgt, ist das längst nicht so einfach. Man kann Mastodon nicht manipulieren, niemand kann im Hintergrund bestimmen, was du zu sehen bekommst, und es gibt keine Werbung.

Übrigens: Weil auf Mastodon die Instanzen kleiner sind, ist es auch leichter, mit Hass und Hetze umzugehen. Wird man beleidigt oder anderweitig angegangen, meldet man das dem Moderator oder der Moderatorin seiner Instanz, nicht einer weit entfernten Firmenzentrale. Die können dann den betreffenden User blocken oder dessen Instanz ausschließen. Das ist ziemlich effektiv.

Fazit: Wenn man nicht zu einem sozialen Netzwerk geht, um besonders einflussreich zu werden, sondern um sich auszutauschen und interessante, vielleicht auch wenig verbreitete Infos zu erhalten oder einen guten Rat, kann Mastodon wirklich bereichernd sein. Hier läuft alles langsamer ab als auf Twitter, persönlicher oft, aber man muss eben auch mehr selbst machen, um sich seine eigene Gemeinschaft aufzubauen. Für mich ist es ein Weg zurück in die Anfangszeit, weg von dem Gedanken, möglichst viel Aufmerksamkeit zu erringen oder möglichst schnell und sofort alle wichtigen Informationen zu erhalten. Wenn ich es schaffe, dass mir diese Einstellung zu sozialen Netzwerken erhalten bleibt, bleibe ich vermutlich diesmal auf Mastodon.

Schaut doch auch mal vorbei!

Über Jens Bertrams

Jahrgang 1969, Journalist bei www.ohrfunk.de, Fan der Niederlande und der SF-Serie Perry Rhodan.
Dieser Beitrag wurde unter Computer und Internet, Leben, Medien, Politik abgelegt und mit , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar