Zum Ergebnis der Ampel-Sondierungen

Den folgenden Beitrag habe ich am 18.10.2021 für den Ohrfunk verfasst.

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Politik ist Kompromiss. Das muss ich mir immer wieder sagen, wenn ich das Ergebnis der Sondierungen für die mögliche künftige Ampelkoalition lese. In meinen Augen ist das Ergebnis dieser Verhandlungen löchrig, vage und einseitig.

Das Gute vorweg: Der Mindestlohn soll auf 12 Euro pro Stunde angehoben werden und dort nicht stehenbleiben. Liest man das Sondierungsergebnis, ist dies aber auch das Einzige, was die SPD hineinschreiben konnte. So taktisch klug Olaf Scholz sich nach der Wahl verhalten hat, so ruhig und staatsmännisch er auftritt, so schlecht hat seine Partei verhandelt.

Auch die Grünen haben ihren Teil vom Kuchen abbekommen: Digitalisierung wird vorangetrieben. Und dann ist da die Sache mit dem Klimaschutz. Zwar wird es kein sanktionsbewährtes Klimaschutzgesetz geben, aber wer in Klimaschutz investiert, soll steuerliche Superabschreibungen geltend machen können. Der Markt soll es regeln! Für die Grünen eine magere Ausbeute. Gut: Es gibt eine Absichtserklärung, den Kohleausstieg von 2038 auf ungefähr 2030 vorzuziehen, aber das war es auch schon.

Das ist der FDP geschuldet. Alle wissen, dass jede neue Regierung auf sie angewiesen ist, und Christian Lindner ist kein Mann des Kompromisses, er wirft seinen verachteten Partnern höchstens Bröckchen hin. Die viertstärkste Partei gebärdet sich seit dem Wahlabend wie die Königsmannschaft. Dazu haben sie auch allen Grund: Es wird kein wirksames Klimaschutzgesetz geben, keine Steuererhöhungen zur Gegenfinanzierung, keine Mehrbelastungen für hohe Einkommen, keine Abschaffung der Hartz-IV-Sanktionen, auch wenn das Ganze künftig Bürgergeld heißen soll, kein Tempolimit auf Autobahnen, keine Aufweichung der Schuldenbremse, keine öffentliche Investition und keine schnelle Verkehrswende.

Mit der FDP sind solche kommunistischen Machenschaften natürlich nicht durchsetzbar. Sie steht für Freiheit, Leistung und Individualismus! Dieses kleine Häufchen elitärer Superreicher presst dem ganzen Land die Pistole auf die Brust, und alle knicken ein, weil man sie doch braucht. Es gibt nun viele, die SPD und Grünen Versagen vorwerfen, sie hätten sich eine weniger kompromissorientierte Sondierung gewünscht, mehr rote Linien. Doch dann wären die Verhandlungen sicher geplatzt, und die Grünen wären vermutlich aufgefordert worden, es aus staatspolitischer Raison mit Jamaika zu versuchen, und dann hätten wir nicht einmal die Mindestlohnerhöhung bekommen.

Das Ganze ist kein Kompromiss, es ist eine Erpressung, ganz gleich mit wievielen schönen Worten man sie umkleidet. Diese notgeborene Koalition kann nur eine Enttäuschung sein, aber sie ist alternativlos. Niemand will noch einmal eine GroKo.

Natürlich wird nichts so heiß beschlossen, wie es sondiert wird. Auch die FDP wird im politischen Tagesgeschäft Federn lassen müssen, denn sie wird an der Macht bleiben wollen. Ihr Vorteil ist aber, das Christian Lindner 2017 schon einmal gezeigt hat, dass er lieber nicht regiert als falsch, zumindest seinen eigenen Auffassungen nach. Die FDP hat in dieser Koalition die wenigsten Stimmen und den längsten Hebel, und sie besitzt die Skrupellosigkeit, ihn auch einzusetzen. Das ganze Land wird in Geiselhaft genommen von Marktradikalen, die seit 40 Jahren sehen, dass ihr Politikansatz nicht funktioniert. Doch das ist ihnen egal, solang die eigenen Taschen gefüllt werden.

Ich bin durchaus für Zugeständnisse der FDP gegenüber. Kein Tempolimit, damit kann ich leben, auch wenn es schade ist. Die Zeit des altmodischen Verbrenners geht ohnehin dem Ende zu. Auch die Anhebung direkter Steuern könnte man unterlassen, wenn man im Gegenzug die Schuldenbremse aufweicht und die Vermögens- und Erbschaftssteuer wieder einführt und die ohnehin weltweit einzuführende Finanzsteuer zügig umsetzt. Um irgend eine Art von Mehrbelastung werden wir nicht herum kommen: Entweder durch mehr Steuern oder durch mehr Schulden. Das darf sich die FDP aussuchen.

Das Sondierungsergebnis ist aus Sicht halbwegs progressiver Bürger*innen eher ein fauler Kompromiss. Mein persönlicher Vertrauensvorschuss reicht aber so weit, dass ich eine mögliche neue Regierung im Alltag beobachten will. Doch ganz ehrlich: Viel Hoffnung habe ich nicht.

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